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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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diese Stimme dachte? Mama sang nicht, und wenn sie hie und da ein paar Töne hervorbrachte, um an ein französisches Chanson zu erinnern, so klang es falsch und pfauenhaft. In Iskuhis kühler und klarer Stimme aber konnte man sich ausstrecken wie in einem Bad.
    Am Morgen nach einer von seinen traumgehetzten Nächten pfiff er Sato heran, die den Versammlungsplatz der Haik-Bande umlauerte:
    »Sind schon welche im Haus unten?«
    Sie verstand ihn sofort. Es wäre ganz falsch, Sato wegen ihrer gaumigen Tierlaute und ihres schweifenden Schakalgehabens für eine Idiotin zu halten. Sie war ein Zwitter, ein Grenzwesen, besaß aber eine starke Intelligenz der Nerven, besonders wenn es sich um Aufspürung von Zusammenhängen handelte. Sie verstand nicht nur, daß Stephan von ihr wissen wollte, ob sich die sauberen Erben schon im Hause seiner Väter zu Yoghonoluk einquartiert hatten, das war nicht schwer, sie erfaßte aber gleichzeitig auch Sinn und Ziel der Frage. Stephan gedachte durch einen verrückten Handstreich sich in den Besitz von Iskuhis Büchern zu setzen, wenn sie überhaupt noch vorhanden waren. Sato begann Grimassen zu schneiden und zu zwinkern wie meist in erregten Augenblicken. Für Stephan war es kein Geheimnis, daß sie als einziges Wesen auf dem Musa Dagh ein Doppelleben führte. Sie blieb manchen halben Tag und vor allem manche Nacht verschwunden, worüber sich niemand Gedanken machte. Dann hielt sie sich im Tale auf und besuchte ihre Freundschaft, das Friedhofsvolk. Die Nachrichtenvermittlung zwischen Berg und Tal war eine wertvolle Scheidemünze, mit der sich Sato die Gunst ihrer Freunde unten, sowie auch die ihrer Feinde oben erkaufte. Auf diesem Wege bekam dann das Lager nicht unverläßliche Berichte über die Zustände und Vorgänge in den Dörfern. Man erfuhr, daß in Yoghonoluk ein Posten von zehn Saptiehs einquartiert sei, und ebenso in Bitias und Habibli. Man hörte ferner, daß der mohammedanische Pöbel die Häuser schon bis auf den letzten Nagel und das letzte Fensterkreuz auszurauben begonnen habe, als ihm ein unerwartetes Verbot des Kaimakams in den Arm gefallen sei. Nur drei Mohadschirfamilien, die aus Cilicien eingetroffen waren, hatten die Erlaubnis bekommen, sich anzusiedeln. Der Janhagel der Ebene aber gab seine Ansprüche nicht so schnell auf, sondern wartete in den Ortschaften auf einen günstigeren Gegenwind. Man erfuhr auch, daß sich in der letzten Woche einige Mollahs, islamische Kleriker, in den Dörfern gezeigt und die Kirchen besichtigt hätten, weil diese demnächst in Moscheen sollten umgewandelt werden. Stephan bekam die Kunde, daß im Hause Bagradian sich ein Mohadschir mit einer mehrköpfigen Familie eingenistet habe, Leute, die erst vor ein paar Tagen mit einem Ochsenkarren in Yoghonoluk eingelangt seien. Es gab in der Tat dergleichen Feinschmecker der Verschickung, die deren Gerücht von Ort zu Ort und weither nachreisten und, wählerisch wie sie waren, sich nicht mit der erstbesten Wohnstätte zufrieden gaben. Sato wußte sogar genaueste Einzelheiten. Die Mohadschirsippe hatte im großen Selamlik ihr Lager aufgeschlagen, verbrachte aber die angenehmen Nächte zumeist im Freien auf dem Dache. Stephan, in seiner Besessenheit, überlegte nicht viel. Nur Hagop vertraute er sich an. Der Einbeinige bettelte und flehte. Er wollte mitgenommen werden. Die Eitelkeit entschied. Wenn Hagop dabei war, hatte Stephan nicht nur einen Zeugen seiner Tat, sondern er konnte damit auch dem unbeugsamen Haik eine Zurechtweisung erteilen. Der verblendete Junge wagte dieses heikle Unternehmen, mit nichts anderem ausgerüstet als mit einer elektrischen Taschenlampe. Seine Hilfstruppe bestand aus einem Kobold und einem Krüppel.
    Sato war übrigens bereits lang vor Abend aufgebrochen. Sie gedachte, Nunik, Wartuk, Manuschak und ihre übrigen Freunde zu alarmieren. Die Gräberleute waren merkwürdigerweise sakrosankt. Niemand vergriff sich an ihnen. Die Saptiehs und der Pöbel ließen die Gesellschaft links liegen, die Verschickungsbefehle schienen für sie nicht zu gelten. Man billigte ihnen Unverletzbarkeit nicht nur deshalb zu, da bei ihnen nichts zu holen war, sondern weil sie vom und mit dem Tode lebten. Sato aber hatte diese Garde nicht etwa zusammengetrommelt, weil sie um Stephans Leben besorgt war. Gefühle wie Anhänglichkeit, Liebe und Sorge waren ihr gänzlich unbekannt. Selbst ihre Leidenschaft für Iskuhi war nur die Wunschgier, von einem Wesen, das sie entzückte, anerkannt zu werden und

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