Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
Wäldchens ziemlich abseits von der Stadtmulde gelegen. Dennoch aber durchdrangen die Angst- und Todesschreie der Tiere allmorgendlich das Lager. Die Metzger hängten anfänglich die ausgeweideten Hammel und Schafe an die Bäume, wo sie ein oder zwei Tage verblieben. Infolge der großen Sommerhitze aber verdarb das Fleisch sehr schnell. Man grub es deshalb nach den ersten unangenehmen Erfahrungen in die Erde ein, wo es sowohl frisch bewahrt wurde als auch besser ablagerte. Nachdem ein Teil der Metzger am frühesten Morgen sein Tagewerk vollendet hatte, um daraufhin sofort wieder in die Zehnerschaften einzurücken, begann der andre Teil seine Tätigkeit. Auf langen, aus Baumstämmen zusammengenagelten Tischen, wurde das Fleisch in kunstgerechte Stücke zerhackt. Von hier brachten es die Frauen, die jeweils den Küchendienst hatten, auf den Feuerplatz. Dort waren inzwischen schon auf zehn großen ummauerten, doch offenen Feuerstellen das Reisig und die klobigen Holzscheite in Brand gesetzt worden. An hohen dreibeinigen Galgen schwankten mächtige Wasserkessel über den Flammen. Das Fleisch aber briet an langen Stangen und Spießen im offenen Feuer. Die Speisenausgabe erfolgte täglich einmal gemeindeweise durch die Muchtars in Gegenwart Pastor Aram Tomasians. Für jede Ortschaft wurden wiederum auf langen Balkentischen die Familienportionen zurechtgeschnitten. Bitias, um ein Beispiel zu nennen, besaß jetzt nach dem Verlust der Protestanten unter Harutiun Nokhudian hundertundzwölf Familien. Hundertundzwölf Hausfrauen also marschierten an dem Dorftisch reihenweise auf und nahmen aus der Hand ihres Muchtars den genau abgewogenen Anteil in Empfang. Eine Amtsperson, zumeist der Ortspriester oder Lehrer, prüfte auf einer Liste die Kopfzahl der Verköstigten nach und vermerkte durch einen Strich die ordnungsgemäße Ausfolgung der Mahlzeit. Es läßt sich wohl denken, daß dieser Vorgang geraume Zeit in Anspruch nahm und daß dabei hitzige Zusammenstöße nicht ausblieben. Die Natur hatte eben bei Erschaffung des Schafes und des Zickleins nicht hinreichend für Gerechtigkeit gesorgt. Die einen bekamen das üppige Brust- und Bauchfleisch, andern wieder fielen nur die flachsigen und knochigen Teile zu. Die düsteren Charaktere unter den Weibern sahen in dieser ungleichmäßigen Behandlung durch das Schicksal von feindseligen Menschen ausgeheckte Kniffe und Hinterlisten, um eigens ihnen einen giftigen Tort anzutun. Den Beruhigungskünsten Aram Tomasians oblag es nun, diese eifernden Seelen vom Spiel des Zufalls zu überzeugen und der betreffenden Frau Jeranik und Kohar zu beweisen, daß ihr Schicksal, das sie heute benachteiligte, sie gestern bevorzugt hatte. Solcher logischen Abgeklärtheit waren aber Jeranik und Kohar meist nicht fähig und zogen mit bösen Augen ab, die Fälle der Benachteiligung in ihren Her zen verdoppelnd. Noch ehe aber die zivile Speisenausgabe stattfand, war das Beste schon für die Truppen ausgesondert worden, denen ihre Menage von der hiezu bestimmten Gruppe der Jugendkohorte in die Stellungen hinausgetragen wurde. Alle aber mußten mit dieser einzigen Mahlzeit am Tag ihr Auskommen finden, denn am Abend kochte in den großen Kupferkesseln nur Wasser, in das man irgend ein Wurzelwerk warf, um den schalen Absud kurzerhand als »Tee« zu bezeichnen.
    Pastor Aram hatte auch einen ständigen Ordnungsdienst eingeführt. Zwölf Bewaffnete sorgten als Polizei für Ruhe und Ordnung in der Stadtmulde. Sie gingen in allstündlichen Runden bei Tag und Nacht mit den gewichtig drohenden Schritten von Schutzleuten durch die Zeilen der Laubhütten und ließen die Bewohner fühlen, daß Kriegsrecht herrsche und jeder sich jetzt doppelt zusammennehmen müsse. Sie trugen ferner auch die Verantwortung für die allgemeine Reinlichkeit, die Gabriel Bagradian, Pastor Aram, Bedros Altouni, Hapeth Schatakhian und andere »Westler« in fanatischer Weise zur großen Lebensfrage erhoben hatten. Vieles, was in den Dörfern der unbestrittene Brauch gewesen, hier oben wurde es verboten. Man durfte die Abfälle nicht vor die Laubhütten werfen, kein Spülwasser auf die Lagergassen schütten und vor allem die heimlichen Bedürfnisse nur an jenen Stellen verrichten, die vom Führerrat dazu bestimmt worden waren. Bagradian hatte von allem Anfang an auf die Herstellung tiefer Senkgruben bestanden. Verstieß jemand gegen eines der Reinlichkeitsgebote und wurde dabei ertappt, so verhängte der Führerrat unerbittlich über ihn ein

Weitere Kostenlose Bücher