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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Blätter unterzubringen, erhielt sonderbarerweise nicht der Lehrer Oskanian, Inhaber der berühmtesten Kalligraphie in allen Schriftarten weit und breit, sondern Samuel Awakian, der ein weit bescheidenerer Künstler war. Hrand Oskanian fuhr von seinem Sitz auf und starrte Ter Haigasun an, als wolle er ihn und die ganze Versammlung zum Zweikampf herausfordern. Diese neue Herabsetzung beraubte ihn aller Worte. Seine Lippen bewegten sich stumm. Ter Haigasun, sein Todfeind, lächelte ihm jedoch gnädig zu:
    »Setz dich, Lehrer Oskanian, und gib Ruhe! Deine Handschrift ist nämlich viel zu schön. Niemand, der sie liest, würde an die Ehrlichkeit unserer Not glauben, die noch solche Schlingen und Schnörkel zusammenbringt.«
    Der schwarze Knirps aber trat hocherhobenen Hauptes vor Ter Haigasun:
    »Priester! Du irrst dich in mir. Ich bin auf die dumme Schmiererei, weiß Gott, nicht eifersüchtig.«
    Er schüttelte seine geballten Kriegerfäuste vor Ter Haigasuns Gesicht aufdringlich hin und her, während seine Stimme vor schlechtverhehltem Zorn bebte:
    »In diesen Händen steckt längst keine Schönschrift mehr, Priester, sondern ganz etwas anderes, das haben sie bewiesen, wenn du dich auch ärgerst!«
    Bis auf diesen lächerlichen Zwischenfall ging diese wichtige Beratung in vollster Ruhe und Einhelligkeit vor sich. Selbst der skeptische Ter Haigasun war zufrieden und hoffte, daß, wie immer sich auch die nächste Zukunft gestalten mochte, die Eintracht der Gewählten wenigstens nicht in Brüche gehen werde.
     
    Auch heute nach der Beratung traf Gabriel seine Frau weder im Zelte noch auch auf ihrem Besuchsplatz unter den Myrtenbüschen an. Hier hatten sich auch die Lehrer Oskanian und Schatakhian wie so oft in letzter Zeit vergeblich eingefunden, um Madame Bagradian wieder einmal ihre Aufwartung zu machen. Insbesondere Hrand Oskanian war über die vielen fruchtlosen Versuche, sich Julietten als den Löwen der Südbastion zu präsentieren, höchst ungehalten. Knirschend mußte er sich eingestehn, daß die Gegenwart einer eleganten Modepuppe wie Monsieur Gonzague den echten pulvergeschwärzten Manneswert aussteche. So mißtrauischer Natur aber der Schweiger auch war, seine Gedanken verstiegen sich nicht zu einem unreinen Verdacht. Madame Bagradian stand zu sternenhoch über ihm, als daß sich eine unpassende Vorstellung in sein Hirn gewagt hätte. In dieser Beziehung dachte der Unausstehliche wirklich ehrfurchtskeusch wie ein Aschugh, ein Minnesänger. Als Gabriel Bagradian die Gesicher der Lehrer erblickte, machte er schnell kehrt und verließ den Ort. Unentschlossen schlenderte er vom Dreizeltplatz in die Richtung der »Riviera«. Er überlegte, wo Juliette sich zu dieser Stunde wohl aufhalten möge. Schon wollte er sich der Stadtmulde zuwenden, als ihm Stephan über den Weg lief. Der Junge war wie immer von der ganzen Haik-Bande umgeben. Der finstere Haik selbst lief einige Schritte voraus, als wolle er Abstand, Führertum oder nur seine überlegene Selbständigkeit kundtun. Der arme Hagop aber hielt sich mit erzürnter Behendigkeit dicht an Stephans Seite, während die anderen regellos durcheinanderschwärmten und lärmten. Sato bildete in gewohnter Weise die lauernde Nachhut. Die Knaben achteten des obersten Befehlshabers gar nicht und wollten ohne Gruß, ohne Ehrenbezeigung an ihm vorüberstürzen. Da rief Gabriel seinen Sohn scharf an. Der Eroberer der Haubitzen schälte sich aus dem erstarrten Rudel und trabte in jener gravitätischen und affenhaften Haltung heran, die er von den Kameraden schon übernommen hatte. Seine zerrauften Haare hingen in die Stirn. Das Gesicht war rot und feucht. Die Augen schienen von einem Starhäutchen trunkener Besessenheit getrübt zu sein. Auch sein Kittel wies bereits eigenwüchsige Risse und Flecke auf. Gabriel Bagradian erkundigte sich mit mißgelaunter Strenge:
    »Nun sag mir, was treibst du eigentlich da …?«
    Stephan gluckste und zeigte unentschieden in mehrere Richtungen:
    »Wir laufen … wir spielen … wir sind dienstfrei jetzt …«
    »Spielen? So große Kerle spielen? Was spielt ihr?«
    »Nichts … Nur so … Papa …«
    Bei diesen abgerissenen Worten schaute Stephan seinen Vater merkwürdig von unten an, als frage er, warum willst du meine schwererrungene Stellung in dieser Gesellschaft vernichten, Papa? Wenn du mich jetzt klein machst, werde ich für alle zum Gelächter werden. Gabriel aber verstand diesen Blick nicht:
    »Du siehst ja nicht wie ein Mensch aus,

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