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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Kurieren, das Haus von Mr.Jackson zu erreichen, so wären sie so gut wie gerettet.
    Dieser Plan Gabriel Bagradians, der ja der frevelhaftesten Hoffnung eine Chance gab und damit dem Todesbewußtsein entgegenwirkte, wurde in leidenschaftlichster Zwischenrede durchgesprochen. Man setzte die Zahl der Schwimmer mit zwei fest. Als Bote für Aleppo mochte sogar ein einziger junger Mensch genügen. Es hatte keinen Sinn, Menschenleben überflüssig in Gefahr zu bringen. Zwei Leute halten sich unauffälliger verborgen als drei, und einer schlüpft leichter an Zöllnern und Saptiehs vorüber als zwei. Auf den Vorschlag Ter Haigasuns sollte die Auswahl der Schwimmer und Läufer auf Grund freiwilliger Meldung erfolgen. Die Läufer (ob einer, ob zwei, stand jetzt noch nicht fest) hatten einen Brief an den amerikanischen Generalkonsul mitzunehmen, die Schwimmer desgleichen einen Brief an den mutmaßlichen Schiffskommandanten. Damit aber im Falle einer Verhaftung die Briefe den Türken nicht in die Hand fielen, sollten sie in das aufgeschnittene Leder der Leibgürtel eingenäht werden. – Ter Haigasun bestimmte Tag, Stunde und Form der freiwilligen Meldung. Er diktierte dem kleinen Gemeindeschreiber einen Aufruf an die Bevölkerung der Stadtmulde, diese Meldung betreffend. Die Münadirs, die Austrommler, wurden angewiesen, ihn noch an demselben Abend zu verbreiten. Gabriel Bagradian erbot sich, den Brief an Mr.Jackson zu schreiben. Aram Tomasian übernahm die Abfassung des Manifestes an das Kriegsschiff. Er setzte sich sogleich abseits und entwarf, während bereits ein neuer Punkt der Tagesordnung mit reichlichem Lärm beraten wurde, seinen Text für die Schwimmer. Dann und wann schien er von dem Werke selbst ergriffen zu sein, denn er sprang plötzlich auf, überlas mit lautem Pathos und feierlichen Handbewegungen irgendeine Stelle, wobei er durch und durch Pastor war, der seine Sonntagspredigt memoriert. Er brachte sein Manifest in kürzester Zeit zustande. Es hat sich als ein Zeugnis der vierzig Tage erhalten.
    An irgendeinen englischen, amerikanischen, französischen, russischen, italienischen Admiral, Schiffskapitän oder Befehlshaber, den die vorliegende Petition erreichen mag.
    Sir! Wir flehen im Namen Gottes und menschlicher Brüderlichkeit zu Ihnen. Wir, die Bevölkerung von sieben armenischen Ortschaften, im ganzen fünftausend Seelen etwa, haben uns auf jene Hochfläche des Musa Dagh geflüchtet, die Damlajik genannt wird und drei Wegstunden nordwestlich oberhalb Suedjas und der Steilküste des Meeres liegt.
    Wir haben hier Zuflucht gesucht vor türkischer Barbarei und Grausamkeit. Wir haben uns zur Wehr gesetzt, um von unseren Frauen die Schändung ihrer Ehre abzuwenden.
    Sir! Sie wissen zweifellos von der Vernichtungspolitik der Jungtürken gegen unser Volk. Unter dem Schein der Umsiedlung, unter dem lügnerischen Vorwand, einer nichtbestehenden Aufruhrbewegung vorzubeugen, treiben sie unsere Leute aus ihren Häusern, berauben sie ihrer Felder, Fruchtgärten, Weinberge und aller beweglichen und unbeweglichen Habe. So ist es unseres Wissens außer anderen Orten schon mit der Stadt Zeitun und ihren zweiunddreißig Dörfern geschehen …
    Nun schilderte Aram Tomasian seine Erlebnisse auf dem Transport von Zeitun nach Marasch. Dann ging er auf die Verschickung der sieben Dörfer über und legte die bedrängte Lage des Volkes auf dem Damlajik in erregten Worten dar. Das Manifest schloß mit folgenden Hilferufen:
    Sir! Wir flehen Euch an im Namen Christi!
    Bringet uns, wir bitten Euch, nach Zypern oder nach einem anderen freien Lande. Unsere Leute sind nicht träge. Wir wollen unser Brot mit härtester Arbeit verdienen, sofern man sie uns gibt.
    Ist dies aber zuviel verlangt, um gewährt zu werden, so nehmet wenigstens unsre Frauen, nehmt unsre Kinder, unsre Alten auf! Uns wehrhafte Männer aber wollet gütig mit Waffen, Munition und Nahrungsmitteln hinreichend ausstatten, damit wir uns gegen die Streitkräfte des Feindes verteidigen dürfen, bis zum letzten Atemzug!
    Wir flehen Euch an, Sir, wartet nicht, bis es zu spät ist!
    Im Namen aller Christen hier oben
    Ihr untertäniger Diener
    Pastor A. T.
    Dieses Manifest bekam eine doppelte Sprachfassung, auf der einen Seite des Blattes in französischer, auf der anderen in englischer Sprache. Die beiden Texte wurden unter Aufsicht Hapeth Schatakhians, des Sprach- und Stilmeisters, sorgfältig durchgefeilt. Das Amt jedoch, sie mit zierlich kleinen Lettern auf die schmalen

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