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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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glaubte, daß er in diesem Leben seinen Geist kaum mehr auf ein Buch werde richten können. Ebensowenig vermöchten die schweren Hände eines Eisendrehers eine feine Schnitzerei zu verfertigen. Seufzend erhob er sich von Gonzagues Bett und strich die Decke zurecht. Da bemerkte er, daß Maris auf dem Fußende des Lagers seine frischgewaschene Wäsche peinlich genau bereit gelegt hatte. Nähzeug, Schere und Stopfwolle lagen daneben, denn der Grieche besserte seine schadhaften Hemden und Strümpfe selbst aus. Gabriel wußte nicht, warum ihn der Anblick dieser Wäsche an Abreise gemahnte. Er ging zu seinem Koffer und warf den Roman hinein. Stephans Kinderbrief aber steckte er in seine Tasche. Als er das Scheichzelt verließ, fiel ihm der Bahnhof von Montreux ein. Juliette und der kleine Stephan erwarteten ihn. Juliette hatte damals einen roten Sonnenschirm getragen.
     
    Gabriel stand vor dem Zelteingang der Frauen Tomasian. Er fragte durch den Spalt hindurch, ob sein Besuch der Wöchnerin genehm sei. Mairik Antaram bat ihn herein. Seitdem sie die junge Mutter und den Säugling betreute, mied sie der Ansteckung wegen den Lazarettschuppen. Das leidenschaftlich kühne Gesicht der alten Frau glühte vor mütterlicher Teilnahme. Sie war immer in Bewegung, als koste sie die vielen Handgriffe des Dienstes, die Kind und Wöchnerin erfordern, wie ein ganz persönliches Glück aus, dessen sie nicht genug bekommen könne. Trotz Antarams rastloser Mühe schien das Kind gar nicht gedeihen zu wollen. Das winzige Gesichtchen war noch immer bräunlich und verhutzelt wie knapp nach der Geburt. Die Augen standen ohne Blick weit offen. Das Bedenklichste aber war, das Kind schrie fast niemals. Howsannah sah sehr verfallen aus. Doch es waren nicht nur die Folgen der schweren Geburt, die sich auf ihrem Antlitz zeigten, sondern ein krankhafter Ausdruck feindseliger Verstocktheit dazu. Von ihren Zügen war alle Jugend verschwunden und hatte lauernder Schärfe Platz gemacht. Als Gabriel an ihr Bett trat, entblößte die Pastorin die Brust ihres Kindes und deutete vorwurfsvoll auf das violette Feuermal, das auf der Herzseite schon bis zur Größe eines halben Medjidjehstückes gewachsen war:
    »Immer größer wird es …« sagte sie in sonderbar feierlichem Ton wie die Prophetin einer himmlischen Strafe. Mairik Antaram aber schalt sie mit ungeduldiger Erbitterung:
    »Sei glücklich, Pastorin, und danke Gott, daß der Junge das Zeichen auf der Brust und nicht im Gesichte trägt. Was willst du denn?«
    Howsannah schloß böse die Augen, als sei sie es müde, ihr besseres Wissen immer wieder gegen leere Tröstungen behaupten zu müssen:
    »Und warum trinkt er so schlecht? Und warum weint er nicht?«
    Antaram beschäftigte sich damit, Windeln auf einem heißen Stein zu wärmen. Sie rief, ohne von ihrer Arbeit wegzuschauen:
    »Warte noch die zwei Tage bis zur Taufe! Manches Kind fängt erst nach der Taufe so recht zu plärren an.«
    Howsannahs Gesicht krampfte sich abwehrend zusammen:
    »Wenn wir ihn nur bis zur Taufe bringen …«
    Die Doktorsfrau wurde sehr zornig:
    »Du bist ein Quälgeist für dich und andre, Pastorin. Wer weiß denn hier auf dem Damlajik, was in zwei Tagen sein wird, Taufe oder Tod? Nicht einmal Bagradian Effendi weiß es, ob wir in zwei Tagen noch leben werden.«
    »Wenn wir aber leben«, lächelte Gabriel, »so wollen wir hier vor den Zelten zu Ehren des Täuflings und seiner Mutter eine kleine Feier veranstalten. Ich habe schon deswegen mit dem Pastor gesprochen. Nennen Sie die Leute, Frau Tomasian, die Sie dabei haben möchten!«
    Howsannah Tomasian lag abweisend da:
    »Ich bin nicht von hier. Ich habe keine Bekannten …«
    Iskuhi, die auf ihrem Bett saß, hatte den Gast die ganze Zeit über still angesehen. Und auch Gabriels Blick kehrte immer wieder zu ihr zurück. Er hatte den Eindruck, als sei Iskuhi noch viel mitgenommener und hilfsbedürftiger als die Wöchnerin, die zu seltsamer Feindseligkeit noch die Kraft aufbrachte und im übrigen die umhegte Wichtigkeit ihres Zustandes auskosten durfte. Die junge Schwägerin aber saß wie eine Gefangene in dem Zelt. Gabriels Blick umschmiegte sie:
    »Haben Sie Lust, Iskuhi Tomasian, mich ein Stück zu begleiten? Meine Frau ist nämlich verschwunden. Ich will sie suchen gehen.«
    Iskuhi sah Howsannah fragend an. Diese aber forderte das Mädchen mit weinerlicher Stimme und gekränkter Übertriebenheit auf, Bagradian Effendi zu begleiten.
    »Aber natürlich, Iskuhi, geh nur! Ich

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