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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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untergebenen Priester drei Tropfen des heiligen Myron-Öles in das Becken.
    Gabriel, der Ginkahaïr, nahm mit verlegener Haltung den Säugling aus den Armen Mairik Antarams entgegen. Die Frauen hatten zu dem feierlichen Anlaß das braungelbe verschrumpelte Wesen, das nicht zu Kräften kam, in ein Staatskissen gesteckt, das im Hinblick auf die allgemeinen Umstände prachtvoll genannt werden mußte. Die Augen des Kindes starrten noch immer ohne Blick an diesem Leben vorbei, in dessen grausamste Veranstaltungen es so schuldlos geraten war. Auch seine Stimme fand es noch immer nicht der Mühe wert, das Gotteslicht, das diesen grausamen Veranstaltungen der Menschheit so großmütig schien, mit einem bejahenden Jammergewinsel zu begrüßen. Gabriel trug das unselige Paket, das in seiner, fremdartigen Abgeschlossenheit der religiösen Festnahme und ihren Folgen zu widerstreben schien, vor den Priester, wie es ihm vorgeschrieben war. Die demutscheuen und doch so merkwürdig kalten Priesteraugen Ter Haigasuns schienen Bagradian nicht zu erkennen. Sie sahen zumindest in ihm nicht den Mann, der er war, sondern nur den Funktionär, der bei einer heiligen Handlung eine Aufgabe zu erfüllen hat. Das war immer so, wenn Ter Haigasun vor dem Altare stand oder in die Meßgewänder gekleidet war. Dann wich aus seinen Augen alle menschliche Teilnahme und Erinnerung und machte einzig dem strengen Gleichmut seines Amtes Platz. Mit einem summenden Melisma stellte er dem Taufpaten die Frage:
    »Was verlangt dieses Kind?«
    Und Gabriel Bagradian, der sich sehr ungeschickt vorkam, hatte zu antworten:
    »Glaube und Hoffnung und Liebe!«
    Dies wiederholte sich dreimal. Dann erst kam die Frage:
    »Und wie soll dieses Kind heißen?«
    Man hatte den Vornamen Meister Mikael Tomasians, des Großvaters, gewählt. Bei dieser Stelle der Zeremonie fand sich der Alte komischerweise bemüßigt, von seinem Sitz aufzustehen und eine kleine Verbeugung zu machen, als sei er in der Zukunft seiner Nachkommenschaft mitaufgerufen. Was diese Zukunft anbelangt, gab es in der Zeugenschaft des Taufaktes nur eine ungeteilte Meinung. Selbst wenn man von dem allgemeinen Todeslos absah und an eine Wunderrettung glaubte, so dürfte dieses elend apathische Körperchen dort sie kaum erleben. Mairik Antaram, Iskuhi und Aram Tomasian waren nun zu Gabriel getreten. Das Kind wurde aller Hüllen entkleidet. Iskuhis und Gabriels Hände berührten einander mehr als einmal. Über den Zuschauern lag eine verbissen hoffnungslose Stimmung. Howsannah starrte mit puritanisch eingekniffenen Zügen auf die Taufgruppe. Irgend etwas stimmte ihre Seele todtraurig, todfeindlich, so hatte es den Anschein. Vielleicht wars die innige Gemeinschaft zwischen Aram und Iskuhi, zwischen Bruder und Schwester, von der sie sich im Augenblick ausgeschlossen fühlte. Ter Haigasun nahm das nackte Kind mit einem unnachahmlich sicheren Griff entgegen. Seine Hände, die viele tausend Säuglinge schon getauft hatten, arbeiteten mit jener fast überirdischen Gewandtheit und Elegantheit, die alle bedeutenden Priester auch in dem handwerklichen Teil ihres Dienstes zeigen. Er hielt eine Sekunde lang das Kind den Augen der Versammlung hin. Jeder konnte genau das große Feuermal auf der Brust sehen. Dann tauchte er es schnell dreimal ins Wasser, mit dem Körper des Täuflings jedesmal ein Kreuzeszeichen beschreibend: »Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.« Howsannah Tomasian hatte sich krampfhaft erhoben. Mit einer verzerrten Grimasse beugte sie sich vor. Der Augenblick der Entscheidung war gekommen. Würde das Kind im Taufbade endlich in das lange, beleidigte Quäken ausbrechen, wie Mairik Antaram es ihr versprochen hatte? Ter Haigasun reichte den Säugling seinem Ginkahaïr zurück. Jedoch nicht er, sondern Antaram nahm ihn in Empfang und trocknete die kränkliche Haut zart mit einem weichen Tuche ab. Das Kind hatte nicht geschrien. Howsannah, die Pastorin, aber schrie. Es waren zwei lange hysterische Aufschreie, die sie ausstieß. Der Stuhl hinter ihr fiel um. Dann bedeckte sie ihr Gesicht und taumelte in das Zelt. Juliette jedoch, die neben ihr saß, hatte aus ihrem Schrei deutlich ein Wort gehört, zweimal sogar: »Sünde … Sünde!«
     
    Aram Tomasian kam nach einer Weile sehr blaß und mit einem gezwungenen Lächeln aus dem Zelt zurück:
    »Du mußt ihr verzeihen, Ter Haigasun. Ihre Seele ist ganz und gar zerrüttet, seitdem wir von Zeitun fort mußten, wenn sie es auch

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