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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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aus, ohne daß eine volle Übereinstimmung erreicht worden wäre. Es handelte sich um nichts Geringeres als um die Frage, ob die angeordnete Erstürmung des Damlajik im Morgengrauen wirklich gewagt werden sollte. Der Kaimakam mit der mißvergnügten Hautfarbe und den schwarzbraunen Augensäcken war innerhalb dieses Kriegsrates die zögernde und widerstrebende Persönlichkeit. Er begründete seine unentschlossene Haltung mit dem Umstand, daß der Etappen-General von Aleppo auf Wunsch des Wali zwar ein ganzes Infanterie-Bataillon gesandt habe, daß aber die versprochenen Maschinengewehre und Gebirgskanonen nicht eingetroffen seien. Der Kolagasi (Stabshauptmann) aus Aleppo erklärte dieses Versäumnis damit, daß diese Waffengattungen allesamt mit den abkommandierten Divisionen aus Syrien verschwunden seien und daß sich in ganz Aleppo kein Maschinengewehr finde. Der Kaimakam gab den Herren zu bedenken, ob es nicht vorteilhafter wäre, mit der Aktion noch einige Tage zu warten und Seine Exzellenz Dschemal Pascha telegraphisch um Überlassung der notwendigen Angriffswaffen dringend zu ersuchen. Die Offiziere aber hielten diesen Vorschlag für unmöglich, da die Umgehung der Instanzen den unberechenbaren Dschemal erbittern und zu einem Gegenstreich aufreizen könnte. Der Jüs-Baschi aus Antakje schob den Stuhl zurück und nahm einen Zettel zur Hand. Seine Finger zitterten, weniger, weil er erregt, als weil er ein Kettenraucher war:
    »Effendiler«, begann er mit einer leisen und heiseren Stimme, »wenn wir auf Artillerie und Maschinengewehre warten wollen, so bleibt uns nichts übrig als hier zu überwintern. Mit dergleichen sieht es bei der Feldarmee so schlecht aus, daß wir uns mit unseren Ansprüchen nur lächerlich machen würden. Ich werde mir erlauben, dem Kaimakam die Stärke unserer Truppen noch einmal ins Gedächtnis zu rufen …«
    Ohne jede Betonung las er die Zahlen von seinem kleinen Zettel ab:
    »Vier Kompagnien aus Aleppo: sind rund tausend Mann. Zwei Kompagnien aus Alexandrette: sind fünfhundert Mann. Die aufgefüllte Garnison von Antakje: sind vierhundertundfünfzig Mann. Das bedeutet fast zweitausend Gewehre regulärer Infanterie. Die Regimenter der Front dürften nicht annähernd diese Stärke haben. Weiter, die zweite Linie: vierhundert Saptiehs aus Aleppo, dreihundert Saptiehs aus unserer eigenen Kasah, und vierhundert Tschettehs aus dem Norden, das sind wiederum elfhundert Mann. Dazu kommen in dritter Linie noch die zweitausend Moslems der verschiedenen Dörfer, die wir bewaffnet haben. Alles in allem werden wir also mit einer Truppe von rund fünftausend Gewehren angreifen …«
    Der Jüs-Baschi unterbrach seinen Bericht, um eine Tasse Kaffee hinunterzustürzen und eine neue Zigarette anzuzünden. Diese Pause benützte jemand, um einen Einwurf zu machen:
    »Die Armenier besitzen immerhin zwei Geschütze.«
    Die eingefallenen Wangen des Majors hatten sich belebt und seine gelbliche Stirn schimmerte feucht:
    »Diese Geschütze sind vollkommen wertlos. Denn erstens fehlt ihnen die Munition und zweitens kann niemand mit ihnen umgehen. Drittens aber werden wir sie sehr schnell wiederbekommen.«
    Der Kaimakam, der müde oder gelangweilt in seinem Fauteuil zurückgesunken saß, hob die Augen:
    »Unterschätzen Sie diesen Bagradian nicht, Jüs-Baschi! Ich bin dem Mann nur ein einziges Mal begegnet, im Bade. Dort hat er sich merkwürdig frech und mutig benommen.«
    Der junge Müdir mit den Sommersprossen und fabelhaften Fingernägeln mischte sich vorwurfsvoll ins Gespräch:
    »Es war der größte Fehler, daß die Militärbehörde diese armenischen Reserveoffiziere nicht eingezogen hat. Meines Wissens hat sich Bagradian mehrmals freiwillig gemeldet. Ohne ihn hätten wir an der Küste die schönste Ruhe.«
    Der Major schnitt diese Überlegungen jäh ab:
    »Bagradian hin, Bagradian her! Solche Zivilisten sind gar nicht so wichtig. Ich habe gestern persönlich den Damlajik rekognosziert und mir die Geschichte ein bißchen angesehen. Es ist ein zerlumptes Pack. Ihre Gräben scheinen ganz primitiv zu sein. Wenn ich verschwenderisch rechne, so besitzen sie vier- bis fünfhundert Gewehre. Wir müßten uns selbst ins Gesicht spucken, wenn wir die Sache nicht bis Mittag erledigt haben.«
    »Das müßten wir wirklich, Jüs-Baschi«, meinte der Kaimakam, einen schnellen Blick auf den Major werfend. »Jedes Tier aber, das sein Leben verteidigt, auch das kleinste, ist furchtbar.«
    Der Kolagasi aus Aleppo schloß sich

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