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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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durch das Haubitzfeuer ungefähr das, was er angestrebt hatte, ohne freilich von seinen Erfolgen rechte Kenntnis zu haben. Die türkischen Operationen wurden schmählich gestört, der Mut der neuen Bevölkerung so empfindlich herabgestimmt, daß die Frauen in hellen Haufen bereits gegen die Orontes-Ebene zu flüchten begannen, und nicht zuletzt blieb die oberste Führung eine Zeitlang ausgeschaltet. Erst nachdem das Haubitzfeuer längt schon eingestellt war, rafften sich die Schützenketten auf und verschwanden in den Waldungen der Vorberge des Musa Dagh. Bagradian machte sich einen Augenblick lang den Selbstvorwurf, daß er nicht Verwegenheit genug besessen hatte, mindestens vierhundert Mann des ersten Treffens, die Hälfte aller Zehnerschaften, als Komitatschis auf die Anmarschwege zu verteilen und so den Angriff zu vernichten, ehe er sich zu entwickeln noch Zeit fand. Er fürchtete jedoch aus seiner eigenen gefährdeten Natur heraus alles Aufgelöste und Ungeregelte und hatte deshalb darauf verzichtet, diesen Gedanken auch nur auszusprechen. Tatsache jedenfalls war es, daß die hundert Komitatschis durch listenreiche Positionen und geistesgegenwärtige Tollkühnheit schon auf halber Bergeshöhe unter den heraufkeuchenden Feindesgruppen mehr Verwirrung und Schaden stifteten, als ein offener Sturmangriff es vermocht hätte. Zweimal, dreimal schleuderte das unsichtbare Kreuzfeuer die Verbände, die sich mühsam durch das Dickicht emporarbeiteten, wild auseinander und zertreute sie. Die einzelnen Haufen und Rotten, von der Befehlsgebung abgeschnitten, und Schritt auf Schritt des Todes gewärtig, jagten die Abhänge wieder hinab, was nicht einmal Feigheit genannt werden darf, da Gegenwehr ja unmöglich war. Nach all diesen mißglückten Versuchen blieb dem Major nichts anderes übrig, als die Kompagnien auf der Linie des Vorberges zu sammeln, eine Erholungsrast anzuordnen und abkochen zu lassen. Inzwischen konnten die Komitatschis in aller Ruhe die Gewehre und Patronen der Gefallenen und Verwundeten in Sicherheit bringen. Der Kaimakam, der sich beim Kommando befand, stellte mit bitterster Verdrossenheit dem Jüs-Baschi die Frage:
    »Wollen Sie Ihre Taktik aufrecht erhalten? Ich glaube, wir kommen so nie und nimmer auf den Berg.«
    Der Major wurde kaffeebraun vor Wut und schrie den Landrat an:
    »Wenn Sie es wünschen, übergebe ich Ihnen hiermit den Befehl und ziehe mich zurück. Das Ganze ist mehr Ihre als meine Sache.«
    Der Kaimakam merkte, daß man mit diesem eitlen Offizier äußert vorsichtig umgehen müsse. Er beschloß deshalb, den plötzlichen Konflikt sofort abzuknicken. Mit seiner schläfrigsten Miene zuckte er die Achseln:
    »Das ist richtig. Ich habe die Verantwortung. Merken Sie sich aber, Jüs-Baschi, daß Sie mir verantwortlich sind. Wenn die Sache mißlingt, werden wir beide die Folgen tragen müssen, Sie genau so wie ich.«
    Diese reine Wahrheit leuchtete dem Major so heftig ein, daß er verstummte. Da man die höchsten Stellen, den Wali, ja den Kriegsminister höchstpersönlich mit dem Musa Dagh beschäftigt hatte, konnte ein neuer Mißerfolg den Jüs-Baschi vor ein Kriegsgericht führen, das ihm gegenüber weniger gnädig vorgehen würde, als gegen den alten Bimbaschi mit den Kinderwangen. Er war auf Gedeih und Verderb an den Kaimakam geschmiedet und mußte sich daher mit ihm verhalten. Zu diesem Zwecke machte er eine ziemlich friedliche Bemerkung und ging ans Werk. Die Kompagnie im Norden wurde angewiesen, sofort gegen die armenische Sattelstellung vorzugehen. Die Südstellung oberhalb des Bergsturzes sollte unbehelligt bleiben, da der Jüs-Baschi die Truppen nicht einer neuen Steinlawine aussetzen wollte. Er versammelte die Offiziere um sich und befahl ihnen, ihren Zügen zu verkünden, daß jeder Soldat, der während des nächsten Aufstiegs umkehre und zurücklaufe, unbarmherzig niedergemacht werde. Eigens zu diesem Henkersbehufe legte er die Saptiehs und Tschettehs in langer Linie in die Einbuchtungen der Vorberge. Sie bekamen den scharfen Befehl, gegen die zurückflutende Infanterie sofort das Feuer zu eröffnen. Diese Aufgabe zu übernehmen, weigerten sich die Saptiehs und Freischärler nicht. Zugleich ließ der Major im Gelände der Aprikosen- und Weingärten eine dritte, sehr lange Linie aufmarschieren, die bewaffneten Dorfbewohner, zu denen sich ein Teil ihrer Frauen gesellte. Die Angst vor dem Befehl des Jüs-Baschi tat bei den Kompagnien ihre Wirkung. Die Schwärme rasten, von Angst

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