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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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gehetzt, die steilen Berglehnen empor. Sie wagten es nicht, auch nur eine halbe Minute zu verschnaufen. Mit geschlossenen Augen stürmten sie durch das Komitatschifeuer. Der Mittag war lange vorüber, als es drei Zügen unter dem grausamen Feuer der Verteidiger gelang, auf den Höhen Fuß zu fassen und sich an vier Punkten den armenischen Abschnitten gegenüber notdürftig mit dem Infanteriespaten einzugraben oder hinter Felsen, Geröllstürzen, Bäumen, Bodenwellen Deckung zu finden. Durch diese wahre Heldentat aus Angst hatten die Truppen des Majors ihren ersten ansehnlichen Erfolg errungen. Er selbst, vom echten Schlachtenfieber erfaßt, führte mit gezogenem Säbel eine neue Sturmwelle hinauf. Auch ihr gelang es, sich unterhalb der armenischen Gräben festzusetzen und die Angriffsfront zu verlängern. Die Begeisterung über diesen Erfolg befeuerte die Türkenseele mächtig. Sie eröffneten an allen Einfallspunkten zugleich ein rasendes Feuer. Dem Major war es vorerst gleichgültig, ob die Schüsse ein Ziel trafen oder nicht. Zwei Stunden lang sollten die Ohren und Seelen der Armeniersöhne so zermürbt werden, daß ihnen der letzte Rest ihrer Frechheit verging. Auch bekamen sie auf diese Weise zu spüren, daß der Staatsgewalt Munition genug zur Verfügung stand, um dieses Feuer mit der gleichen Dichtigkeit drei Tage lang fortzuführen. Die Verteidiger verkrochen sich wie gelähmt in ihren Gräben, während der undurchdringliche Projektilschleier über ihre Köpfe wegwehte. Das Schlimmste aber war, daß sich von jenen Kampfplätzen, die der Stadtmulde zunächst lagen, Hunderte von Kugeln unter die Laubhütten verirrten, und bisweilen Geller als abgeplattete Dumdum-Geschosse furchtbare Wunden schlugen. Ter Haigasun befahl daher, daß die Stadtmulde unverzüglich geräumt werde, und daß sich das nicht wehrfähige Volk gegen die Meer- und Felsseite des Berges zurückziehe.
    Während der langdauernden Feuer-Raserei gegen die armenischen Gräben ließ der Jüs-Baschi nacheinander die Kompagniereserven, die Saptiehs und zuletzt die bewaffneten Bauern von seinen Offizieren heranführen, damit sich seine Übermacht beim Sturmangriff in immer wieder erneuerten Männerwellen auswirken könne. Das zweite, dritte und vierte Treffen wurde in ziemlich dichten Abständen hinter der Front bereitgestellt. Als diese durch die tückischen Überfälle der Komitatschis erschütterten und wutgepeitschten Mannschaften brüllend die Höhe erreichten, gab der Major dem ersten Treffen den Sturmbefehl. Die Armenier, die schon eine alte Sturmabwehrerfahrung hatten, schossen von ihren zumeist höhergelegenen Stellungen die zögernden Stoßschwärme in aller Ruhe zusammen. So schnell hintereinander die Wellen auch eingesetzt wurden, sie brachen sich, von der Ungunst des Bergbodens schwer benachteiligt, weit vor den armenischen Gräben. Trotz ihrer unermeßlichen Übermacht und Feuerüberlegenheit konnten die Moslems bis zum späten Nachmittag an keinem der Einfallspunkte auch nur einen Schritt weiterkommen. Dabei hatten die Armeniersöhne durch die kluge Anlage der Verteidigungsabschnitte ein verhältnismäßig leichtes und kostenloses Spiel. Ihre Gräben bildeten da und dort scharf Winkel und die anstürmenden Türken erhielten dadurch Front- und Flankenfeuer. Dazu kamen noch die Komitatschis, die plötzlich an dieser und jener Stelle die Reserven mit einem raschen aber tödlichen Kugelregen überschütteten. Die todesmutigen, vergeblichen Sturmangriffe hatten den Major schon beinahe ebensoviel Männer gekostet wie die letzte Niederlage den armen Bimbaschi, der ihretwegen schmählich davongejagt worden war. Der aus einem weit härteren Holz geschnitzte Jüs-Baschi aber gab nicht nach. Er stellte sich immer wieder an die Spitze der Angriffsreihen und entging hundertmal durch das Wunder der echten Führertapferkeit dem Tode. Er hielt sich zumeist im Abschnitt der Steineichenschlucht auf, denn es wurde allgemach klar, daß sich hier der schwächste Punkt der Verteidigung befand. Noch hielt Gabriel Bagradian dank seiner fliegenden Garde alle Fäden in der Hand. Drei Stunden noch, dachte er, und dann ist es Nacht. Die Garde hatte immer wieder in bedrohlichen Fällen eingegriffen, wankende Gräben versteift, die gefährdeten Lücken zwischen den Abschnitten gefüllt und ermüdete Zehnerschaften abgelöst. Jetzt freilich lag Bagradian ausgepumpt, totenfahl und ohne Atem irgendwo auf der Erde und erholte sich nur mühsam. Awakian saß neben ihm und

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