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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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der Meinung des Majors nachdrücklichst an. Er hege die entschiedenste Hoffnung, binnen zwei Tagen aus dieser unbequemen Gegend fort und wieder in der schönen Stadt Aleppo zu sein. Da die Offiziere von solch einmütiger Zuversicht erfüllt waren, gähnte der Kaimakam abschließend:
    »Sie garantieren also den Erfolg, Jüs-Baschi?«
    Der Major blies wie ein Drache zwei dicke Rauchstrahlen durch die Nase:
    »Bei militärischen Unternehmungen gibt es keine Garantien. Dieses Wort muß ich ablehnen. Ich kann nur sagen, daß ich nicht weiter leben will, wenn das armenische Lager nicht bis zum Abend liquidiert ist.«
    Daraufhin rekelte sich der Kaimakam mühsam auf:
    »Gehen wir also schlafen!«
    Der Schlaf des Hochmögenden gelang jedoch in dieser Nacht nicht zum besten. Er hatte ein Lager in Juliettens Zimmer aufgeschlagen. Der Raum war von dem Geruch der zerbrochenen Parfumflaschen noch immer so durchdringend erfüllt, daß die Nachtruhe des leberkranken Kaimakams durch beklemmende und aufreizende Traumbilder feindselig gestört und durch viele schlaflose Stunden unterbrochen wurde.
     
    Das Erwachen war nicht besser als der Schlaf. Kaum hatte sich das erste Morgengrauen entfaltet, als der Kaimakam durch eine ungeheure Explosion geweckt wurde. Er stürzte halbangekleidet vors Haus. Die Verwüstung war groß. Die Granate war dicht vor der Hausrampe niedergegangen. Die Scherben sämtlicher Fensterscheiben bedeckten die Erde. Der Luftdruck hatte einen Türflügel aus den Angeln gehoben und in den Flur geschmettert. Im Mauerwerk klafften tief Breschen. Steintrümmer und aufgebogene Eisenstücke lagen überall umher. Das Schlimmste aber war der Anblick des Stabsoffiziers aus Aleppo. Den Unglücklichen hatte das Schicksal dazu ausersehen, gerade im Augenblick des Volltreffers aus dem Hause zu treten. Nun saß er gegen die Wand gelehnt. Seine blauen Augen blickten kindhaft leer. Er schien tief atmend einer träumerischen Vergangenheit nachzuhängen. Ein Sprengstück hatte ihm die rechte Schulter aufgefleischt, ein andres den linken Oberschenkel verwundet. Der Jüs-Baschi von Antakje bemühte sich um ihn. Es hatte den Anschein, als rede er ihm nicht ohne Strenge zu, sich seiner Verwundung weniger bequem hinzugeben. Der Kolagasi aber lieh diesen Mahnungen trotzig kein Gehör, sondern kippte langsam zur Seite. Der Jüs-Baschi drehte sich zornig um und brüllte die schreckerstarrten Soldaten an, sie möchten nicht glotzen, sondern Feldscher und Sanität holen. Dies aber war nicht so einfach. Der Feldscher befand sich bei der Dritten Kompagnie in Bitias. Der Major ließ den Schwerverwundeten ins Haus tragen. Er wurde in Stephans Zimmer aufs Bett gelegt. Wieder zur Besinnung gelangt, flehte er den Major an, er möge ihn nicht verlassen, ehe er verbunden sei. Der Kaimakam, der seinem Wesen nach ein überzeugter Zivilist war und den vergossenes Menschenblut praktisch ebenso entsetzte wie es ihn theoretisch kalt ließ, stieg wie von ungefähr still vor sich hin die finstre Treppe in den Hauskeller hinab. Die Kanonade Gabriel Bagradians ging nämlich gemächlich weiter. Soeben polterte ein neuer Krach von der Ortschaft herüber.
    Ein mehr als ironischer Zufall hatte die Flugbahn der ersten Granate zum Bagradianhaus gelenkt und den feindlichen Bataillonsführer schachmatt gesetzt. Vielleicht aber war es gar kein Zufall, sondern ein lebendiger Lehrbeweis dafür, daß Gott durchaus nicht immer auf Seiten der stärkeren Bataillone steht. Durch die Lähmung des Kommandos wurde jedenfalls der Zeitpunkt des Angriffs um mehr als eine Stunde hinausgeschoben. Die türkischen Schwarmlinien, die sich schon in den Obst- und Weingärten am Fuße des Damlajik entwickelt hatten, wurden zurückgehalten. Diese armenischen Schweine schienen das wichtigste Ziel verteufelt gut herauszuhaben und ausgelernte Feuerwerker zu besitzen. Wenn sich auch die nächsten acht Zufälle als weniger genial erwiesen als der erste, so war die Talsohle doch breit genug, um den Schrapnells und Granaten, wo immer sie auch niedergingen, schreckenerregende Gelegenheiten zu bieten. Drei Häuser in Bitias, Azir und Yoghonoluk wurden in Brand geschossen. Unter einer Abteilung lagernder Saptiehs, die aus ihren Feldflaschen Kaffee tranken, richtete eine der Granaten die schwerste Verheerung an. Drei Tote und viele Verwundete zurücklassend, verließen diese Träger der zivilen Ordnungsgewalt den Kriegsschauplatz für immer, ohne einen Schuß abzugeben.
    Gabriel Bagradian erreichte

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