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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Rücken her und womöglich von mehreren Seiten schlagartig unter heftiges Feuer nehmen, ohne Munition zu sparen. Jeder Komitatschi bekam zwölf Magazine, also sechzig Patronen ausgefolgt, unter den gegebenen Umständen eine überwältigend reiche Munition. Bagradian war übrigens, was die Munition im allgemeinen betrifft, ausnehmend großmütig. Da die kommende Schlacht zweifellos die Entscheidung brachte, sah er keinen Grund, zu geizen und behielt von den alten, den erbeuteten und den neu gefüllten Patronen nur einen unbeträchtlichen Rest in den Verschlägen zurück. Den Franktireurs setzte er die Aufgabe in seiner logischen und einfachen Art auseinander, sodaß jeder der jungen Leute bis zum Grund verstand, worum es ging: Den feindlichen Anmarsch verwirren und aufhalten! Keinen Augenblick in Ruhe sein, sondern den Rücken des Feindes unausgesetzt belästigen, besonders dann, wenn er zum Angriff vorgehen will! Und das Hauptgesetz wie immer: Jede Kugel ein Toter! Nach dem Komitatschi-Bann wurde die fliegende Garde aus den Zehnerschaften ausgehoben. Gabriel Bagradian verkleinerte die Besatzung der Südbastion, die durch ihre starken Verteidigungswerke so gut wie uneinnehmbar war, auf die notwendigste Kämpferzahl. Die Lücken ließ er durch Reservisten auffüllen. So wurden etwa hundertundfünfzig Gewehre für seine Garde frei, die er selbst führte und mit der er überall dort eingreifen wollte, wo der Kampf ungünstig stand. Ein großer Teil dieser Stoßtruppe wurde auf den Eseln des Lagers, der leichten Beweglichkeit wegen, beritten gemacht. Die Reitesel dieser Gegend sind keine störrisch langsamen Gesellen, sondern für alle Gangarten abgerichtet. Die beiden Gruppen der Jugendkohorte, die Ordonnanzen und ein Teil der Späher hatten sich der Garde immer an die Fersen zu heften, damit die ausstrahlenden Verbindungen aller Abschnitte mit dem Hauptkommando niemals unterbrochen würden. Dies war in großen Zügen die ordre de bataille, die Gabriel für den Fall des Generalangriffs ausgearbeitet hatte, und deren Vorbereitung er nun während der beiden ersten Nachtstunden in großer Ruhe durchführte. Zuletzt musterte er noch die gesamte Reserve. Sie bekam den Befehl, bei Sonnenaufgang die Stadtmulde zu verlassen. Die eine Hälfte wurde für die einzelnen Stellungen als Ersatzmannschaft bestimmt, die andre Hälfte sollte den langen Streifen der Hochfläche beziehen, die zwischen dem östlichen Bergrand und der Lagerstadt lag. Dieser Streifen, der an mancher Stelle, wie z.B. vor dem Steineichenschlucht-Abschnitt nur tausend Schritt schmal war, bildete eine äußerst gefährdete Zone. Hier sorgten nur einige Schanzen, oder besser regellose Steinhaufen, für die Abriegelung der Stadtmulde gegen einen feindlichen Ansturm. Nachdem Gabriel Bagradian auch der Reserve ihre große Pflicht eingeschärft und ihr dargelegt hatte, daß sie den letzten Wall gegen die unausdenklichste Frauenschändung und Kindermetzelei vorstelle, blies Nurhan Elleon auf seinem Kornett mit stotternder Erbitterung irgendwelche Fetzen aus dem türkischen Zapfenstreich. Dies war der Befehl zum Schlafengehen. Gabriel begab sich daraufhin zu den Haubitzen, wo er die Nacht zubringen wollte. Er hatte mit Hilfe Nurhans ein paar der klügeren Leute für den Artilleriedienst notdürftig ausgebildet. Vor Mitternacht rückte das letzte Kundschafterpaar ein. Sein Bericht brachte nichts Unbekanntes. Als einzige Neuigkeit erfuhr Bagradian nur, daß vom Dach seiner Villa die Halbmondflagge wehe, daß im Hofe eine Menge Pferde zusammengekoppelt seien und Offiziere ein- und ausgingen. Es war demnach klar, daß sich im Hause Bagradian das Hauptquartier der Türken befand. Gabriel wartete auf den späten Aufgang des Mondes. Dann begann er, auf der Karte bedachtsam mit dem Zirkel Entfernungen zu messen und Berechnungen anzustellen. Da der dicke, aufgeblähte Vollmond ziemlich viel Licht verbreitete, gelang es ihm, einen Hilfszielpunkt anzuvisieren und danach die Richtelemente der beiden Geschütze zu ermitteln. Die Mannschaft der Batterie mußte die Geschoßverschläge nahe heranschleppen. Es waren noch fünf Schrapnells und dreiundzwanzig Granaten vorhanden. Bagradian ließ die Hälfte dieser Geschosse hinter dem Sporn jeder Haubitze aufreihen. Dann ging er von einem Geschoß zum andern und tempierte es mit dem Klammerschlüssel im Scheine seiner Taschenlaterne. Während dieser Arbeit tauchte Iskuhi auf. Er bemerkte sie zuerst gar nicht. Iskuhi rief ihn leise an. Da

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