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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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und Antiquariaten in Stambul oder gar im Ausland kostspielige Aufträge zu geben. Er hätte kaum die Kosten der Fracht aufgebracht. So mußte er denn nehmen, was ihm in den Wurf kam. Den Grundstock, behauptete er, habe er schon in seiner Kindheit und seinen Wanderjahren gelegt. Nun hatte er Agenten und Gönner in Antiochia, Alexandrette, Aleppo, Damaskus, die ihm von Zeit zu Zeit ein großes Paket zuschickten. Welch ein Feiertag, wenn solche Gaben einlangten! Mochten es arabische oder hebräische Folianten sein, französische Romane, allgemeine Makulatur, gleichviel, es waren Bücher, bedrucktes Papier. Selbst Tageszeitungen hob er auf und katalogisierte peinlich Preislisten und Prospekte. In diesem Mann war die ganze Zärtlichkeit der armenischen Rasse für den Geist zusammengedrängt, das Geheimnis aller uralten Völker, welche die Zeiten überdauern. Wie der Same einer Steinnelke auf dem nackten Felsen Wurzel schlägt, so hatte Krikors Bibliothek in Yoghonoluk Wurzel gefaßt. Diese sonderbare, in der Hauptsache ungelesene Bibliothek hätte nun kaum hingereicht, die Grundlage für des Apothekers Riesenwissen zu bilden. Hier aber half ihm der schöpferische Mut über alle Lücken hinweg. Krikor ergänzte seine Welt. Alle Fragen von der Theologie bis zur Statistik beantwortete er aus eigener Machtvollkommenheit. Dabei fühlte er sich keineswegs als Fälscher. Das unschuldige Glück des Dichtertums durchströmte ihn, wenn er die großen Worte der Wissenschaft durcheinanderwarf. Daß ein solcher Mann Jünger hatte, ist selbstverständlich. Daß diese Jüngerschar sich aus der Lehrerschaft der sieben Dörfer zusammensetzte, ebenfalls. Die Lehrer verehrten in Krikor das Wunderorakel und nicht einmal der boshafte Oskanian dachte daran, die Stichhaltigkeit dieses Orakels anzuzweifeln. Apotheker Krikor war der Sokrates vom Musa Dagh, wenn er mit diesen seinen Jüngern zumeist bei Nacht philosophische Spaziergänge unternahm. Dabei bot sich Gelegenheit, die Verehrung der Jünger immer wieder zu vertiefen. Ein Fingerzeig auf den gestirnten Himmel: »Hapeth Schatakhian, kennst du jenen rötlichen Stern dort?« – »Welchen? Diesen dort! Das muß ein Planet sein. Wie?« – »Falsch, Lehrer! Es ist der Stern Aldebaran! Und weißt du, warum er rötlich scheint?« – »Warum? Vielleicht … unsere Lufhülle …« – »Falsch, Lehrer! Der Stern Aldebaran besteht aus geschmolzenem Magneteisen und davon ist er rötlich. Dies ist ebenfalls die Meinung des berühmten Camille Flammarion, die er mir in seinem letzten Brief schreibt.«
    Auch der Brief des großen Astronomen war kein leerer Schwindel. Er bestand wirklich. Nur hatte ihn Krikor in der Person Camille Flammarions selbst an sich gerichtet. Solche Post freilich erledigte er nur höchst selten und in feierlichsten Stunden. Die Jünger erfuhren meist nichts von diesen Briefschaften. Es waren jedoch nicht nur zeitgenössische oder jüngstverstorbene Geistesriesen, die er zu Partnern seines Briefwechsels machte, sondern auch Voltaire und der große armenische Dichter Raffi hatten ihm mehrmals schon umgehend ein Schreiben erwidern müssen. So lebte in Krikor ein korrespondierendes Mitglied des Olymps.
    Erstaunlich wars, daß bei seiner geistigen Weltläufigkeit der Apotheker seit Menschengedenken Yoghonoluk nicht verlassen hatte. Alle gebildeteren Leute vom Musa Dagh unternahmen mindestens einmal jährlich eine Reise, und sei es nur nach Aleppo oder Marasch, um dort die amerikanischen, deutschen, französischen Missionsschulen zu besuchen, wo sie den höheren Unterricht empfangen hatten. Nicht wenige unter den Alten des Volkes waren erst in späten Jahren aus Amerika zurückgekehrt, um das Erworbene in Ruhe zu verzehren. Und knapp vor Kriegsausbruch war wiederum ein Schub von Wandersüchtigen über den Ozean gegangen. Nur Apotheker Krikor vermied den geringsten Ortswechsel. Selbst ein Besuch in den Nachbardörfern gehörte zu den größten Seltenheiten. In seiner Jugend, so behauptete er, habe er von den Merkwürdigkeiten des Erdballs mit eigenen Augen genug gesehn. Manchmal machte er denn auch Andeutungen über diese Fahrten, die sich weit im Westen und im Osten verloren, bei denen er aber aus Prinzip niemals eine Eisenbahn benützt habe. Ob es sich damit so verhielt wie mit Flammarions Brief, bleibe dahingestellt. Nichts an Krikors Reden und Erzählungen roch auch nur im entferntesten nach Aufschneiderei und Phantasie. Seine Berichte waren von anschaulicher Gründlichkeit

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