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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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durchtränkt, so daß selbst ein Mann wie Gabriel Bagradian keinen Argwohn gefaßt hätte. Bei jeder Gelegenheit aber beteuerte der Apotheker sein Unverständnis für alle Reiselust. Mochte Altouni, der allbekannte Nörgler, herbe Klage führen, weil er sein Leben in einem syrischen Dorf verloren habe. Krikor war zufrieden in und mit Yoghonoluk. Alle Orte galten gleich, denn die äußere Welt war in der inneren enthalten. Der Wissende sitzt, ohne sich zu bewegen, wie eine Spinne inmitten des Strahlennetzes, das er über das Universum spannt. Aber wenn das Gespräch auf Politik, auf den Krieg, auf brennende Gegenwartsfragen kam, wurde der Apotheker unruhig. Dergleichen Dinge liebte er nicht zur Kenntnis zu nehmen. Die Welt als Spielball äußerer Abhängigkeit und innerer Teilnahme bildete eine erniedrigende Störung. Erst in die selbstlose Ferne der Betrachtung gerückt, bekam sie Wert. Letzter Hochmut des Geistes! Was gingen ihn die Ereignisse des »Hinterlandes« dort an, die sich zwischen Stambul, Aleppo und Mesopotamien abspielten? Kriege, die nicht schon zu Büchern geworden waren, mißachtete er. Aus diesem Grunde hatte der Apotheker auch die politischen Ausführungen Lehrer Schatakhians gerügt. Jetzt vollendete er:
    »Ich verstehe nicht, warum man immer und immer wieder zu den andern hinüberschielt. Krieg, Verordnungen, Wali, Kaimakam. Laßt dort die Türken machen was sie wollen! Wenn ihr euch nicht um sie kümmert, so kümmern sie sich nicht um euch. Wir haben unsere eigene Erde hier. Und sie findet sogar verwöhnte Liebhaber … Bitte …«
    Damit stellte Krikor dem Hausherrn einen fremden Gast vor, der sich bisher hinter den andern Männern verborgen hatte oder ihm nicht aufgefallen war. Der Apotheker ließ den tönenden Namen des Fremden auf der Zunge zerfließen: »Gonzague Maris!«
    Der junge Mann war, nach der Art wie er aussah und wie er sich trug zu schließen, ein Europäer oder zumindest ein stark europäisierter Levantiner. Das schwarze Schnurrbärtchen in dem blassen und höchst aufmerksamen Gesicht war so französisch wie der Vorname. Das auffälligste Merkmal bildeten seine Augenbrauen, die in einem stumpfen Winkel gegeneinander standen. Krikor spielte weiter den Herold des Fremden:
    »Monsieur Gonzague Maris ist Grieche.«
    Sogleich aber verbesserte er sich, als wolle er den Gast nicht herabsetzen:
    »Nicht türkischer Grieche, sondern Reichsgrieche, Europäer.«
    Der Fremde hatte sehr lange Augenwimpern. Er lächelte jetzt, wobei er die frauenhaften Wimpern tief über die Augen senkte:
    »Mein Vater war Grieche, meine Mutter Französin, ich bin Amerikaner.« Die bescheidene, ja fast scheue Art des jungen Menschen wirkte auf Gabriel angenehm. Er schüttelte den Kopf: »Was ist das für ein verrückter Zufall, verzeihen Sie, der einen Amerikaner, dessen Mutter Französin ist, hierher führt, gerade hierher?«
    Gonzague lächelte wieder, die Wimpern senkend:
    »Sehr einfach! Ich habe mehrere Wochen in Alexandrette zu tun gehabt. Dort bin ich erkrankt. Der Arzt hat mich in die Höhe nach Beilan geschickt. In Beilan aber habe ich mich nicht wohlgefühlt …«
    Apotheker Krikor hob mahnend den Zeigefinger:
    »Der Luftdruck! In Beilan ist der Luftdruck immer unter dem Niveau.«
    Gonzague Maris neigte seinen sorgfältig gescheitelten Kopf verbindlich gegen den Apotheker:
    »In Alexandrette hat man mir so viel vom Musa Dagh gesprochen, daß ich neugierig geworden bin. Es war eine große Überraschung für mich, im trostlosen Orient solch eine Schönheit zu finden, so gebildete Menschen und eine so gute Unterkunft wie bei meinem Wirt, Herrn Krikor. Ich liebe alles Unbekannte. Läge der Musa Dagh in Europa, wäre er eine große Berühmtheit. Nun, ich freue mich, daß er Ihnen allein gehört.«
    Der Apotheker verkündete mit dem gleichgültig hohlen Ton, den er bei bedeutsamen Mitteilungen anwandte:
    »Er ist Schriftsteller und wird hier in meinem Haus seinen Studien obliegen.«
    Gonzague schien sich dieser Ankündigung zu schämen:
    »Ich bin kein Schriftsteller. Ich schicke hie und da einer amerikanischen Zeitung kleine Berichte. Das ist alles. Ich bin nicht einmal wirklicher Journalist.«
    Mit einer unbestimmten Geste deutete er an, daß diese Beschäftigung keinem andern Ziel als dem Broterwerb gelte. Krikor aber ließ von seinem Opfer nicht, das ihm zum Stolze dienen mußte:
    »Sie sind doch auch Künstler, Musiker, Virtuose, Sie haben Konzerte gegeben, nicht wahr?«
    Der junge Mann hob

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