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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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abwehrend die Hand:
    »Das ist alles nicht richtig. Ich bin unter anderem auch Klavierbegleiter gewesen. Man muß vieles probieren.«
    Sein Blick suchte bei Juliette um Hilfe. Sie wunderte sich:
    »Die Welt ist klein. Ist es nicht sonderbar, daß sich hier zwei Landsleute begegnen? Zur Hälfte sind Sie ja mein Landsmann.«
    Lehrer Schatakhian aber konnte seine Schwärmerei wieder einmal nicht zügeln:
    »Und ist es nicht sonderbar, daß wir uns in einem so gewählten Kreis befinden dürfen, daß wir armen armenischen Bauern durch die Güte von Madame uns nun einer feinen Geselligkeit erfreuen?«
    Der gereizte Oskanian aber ließ sein Schweigen noch mehr anschwellen und nahm abseits von den anderen mit düsterer Hoheit Platz. Dadurch gab er zu erkennen, daß er es keineswegs für sonderbar halte, daß eine Persönlichkeit wie die seine an dieser Stätte mit gebührender Achtung begrüßt werde. Denn Oskanian war nicht nur ein gesuchter Dichter im Umkreis des Musa Dagh, der seinen Landsleuten für alle Festlichkeiten heiterer und trauriger Natur die bestellten Verse lieferte, er betätigte sich auch für ähnliche Zwecke als Kalligraph und Maler. Apotheker Krikor jedoch erteilte seinem Jünger Schatakhian abermals eine leichte Zurechtweisung:
    »Wir Armenier haben einen verhängnisvollen Fehler, den Kleinmut. Er verleitet uns oft zur Selbsterniedrigung. Wir vergessen, daß wir eines der ältesten Kulturvölker der Erde sind. Madame, als die Gattin unseres Gabriel Bagradian, weiß es ja, daß wir als allererste Nation, lange vor Rom, das Christentum als Staatsreligion angenommen haben. Wir haben ein glänzendes Reich besessen, die Hauptstadt Ani mit ihren tausend Kirchen war ein anerkanntes Weltwunder. Könige von armenischem Blute regierten Byzanz. Zu einer Zeit, da Frankreich noch in tiefer Barbarei schlief, hatten wir eine klassische Literatur. Ich selbst besitze Auszüge von markigen Autoren wie Lazar von Pharpi und Moses von Chorene. Doch auch heute müssen wir uns nicht verstecken. Selbst in diesem Nest hier, das nicht einmal eine anständige Straße besitzt, ist im Laufe der Zeit eine namhafte Bibliothek angewachsen … Madame wird uns also gestatten, daß wir uns vor ihr nicht schämen.«
    Diese würdige Rede brachte der Apotheker mit seiner ungerührten Mandarinenruhe vor. Dabei sah er Juliette nicht an. Als echt sokratischer Weiser war Krikor gegen Frauen sehr züchtig und zurückhaltend. Dafür aber versammelte er um sein Licht die männliche Jugend, soweit sie nicht geistig stumpf war. Als Beweis für diese seine Anziehungskraft kann es vielleicht auch gelten, daß der junge Gonzague Maris bei ihm Quartier bezogen hatte, obgleich ihm auch ein schönes Zimmer im Hause des Muchtars angeboten worden war. Die selbstberauschte Juliette aber fing auf die Worte Krikors hin armenisch zu radebrechen an. Sie machte es reizend:
    »Was wollen Sie denn? … Ich bin doch selbst Armenierin, weil ich einen Armenier geheiratet habe … Nach dem Gesetz … Oder vielleicht Türkin … Oh, ich kenne mich gar nicht aus …«
    Entzückter Beifall ringsum dankte diesem Sprach-Versuch. Gabriel hatte in seinem ganzen Leben nur sehr wenige armenische Worte aus dem Munde seiner Frau gehört. Er hätte über diesen neuen Fortschritt erstaunt und beglückt sein müssen. Leider war es ihm entgangen, denn er bestarrte, ohne der andern zu achten, einen Mithraskopf aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert, der aus den Ruinen von Seleucia bei Suedja stammte. Doch seine Gedanken schienen sich mit dem Kopf nicht im geringsten beschäftigt zu haben. Keiner der Anwesenden verstand den Sinn dessen, was er mit zornigem Ton plötzlich sagte:
    »Wenn ein Tier nicht mehr daran glaubt, daß es sich wehren kann, geht es zugrunde. So ist es in der Natur und in der Geschichte.«
    Und er rückte ohne ersichtlichen Grund das Postament mit dem Mithraskopf ein wenig von seiner alten Stelle nach links.
     
    Dank Juliettens Heiterkeit wurde es ein sehr gelungener Abend, gar nicht zu vergleichen mit den früheren Versammlungen in der Villa Bagradian. Die meisten Armenier führten hierzulande ein rein orientalisches Leben, das heißt, sie sahen einander nur in der Kirche und auf der Straße. Man besuchte sich bloß bei feierlichen Anlässen. Kaffeehäuser, wie sie sich in den kleinsten türkischen Dörfern finden, gab es nicht. In dieser häuslichen Abgeschiedenheit hatte das befangene Wesen der Frauen seine Ursache. Doch nun verlor es sich nach und

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