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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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hinter seinem Rücken etwas begab, das Iskuhi mit Entsetzen erfüllte. Als er sich umwandte, sah er Samuel Awakian vor sich, der atemlos nach seinem Patron Umschau hielt. Der Student konnte sich kaum auf den Beinen halten. Sein Gesicht war zu einer Fratze verzerrt, er weinte vor sich hin. Iskuhi deutete schwach in die Richtung des Nordsattels. Dort war Bagradian zu finden. Dann sank sie in sich zusammen, ohne Arams zu achten. Sie wußte alles.
     
    Es gehörte zu Satos Eigenart, daß sie niemals oder nur selten dieselbe Schlafstätte bezog. Das Bedürfnis des Menschen nach einem ständigen Nachtlager, nach einem gesicherten Ort für den dunklen Teil seines Erdenlebens, dieses Bedürfnis der Einbürgerung auch im Schlafe fehlte Sato ganz und gar. Sie vermied es, zwei Nächte auf demselben Platz zu verbringen, ja oft pflegte sie während einer einzigen Nacht ihr Lager zu wechseln. Dies freilich fiel ihr nicht schwer, da sie sich ohne weitere Vorbereitungen irgendwohin warf, unter die Büsche der »Riviera«, in ein Gehölz, ja manchmal sogar mitten auf den Altarplatz. Sie schlief in sich zusammengerollt, ohne Decken und Kissen, obwohl sie diese von der Dienerschaft des Hauses Bagradian schon zweimal erbettelt hatte. Zu Satos Ehre aber muß es gesagt werden, daß jenes schöne Bettzeug als Gastgeschenk zum Friedhofvolk hinabgewandert war, dem sie mit wahren Verwandtschaftsgefühlen innig anhing. Ihre lockere Nachtruhe bedurfte solcher Bequemlichkeiten nicht. Zwischen Satos und Haiks Schlaf bestand eine Ähnlichkeit insofern, als auch sie noch in ihrer tiefsten Lähmung auf der Hut war. Während aber Haiks scharfe Sinne gleichsam die Wache bezogen, um ihren schlafenden Herrn zu schützen, und wie gute Posten die Wirklichkeit nicht freigaben –, schweiften Satos Sinne ruhelos umher und gruben Unterirdisches heraus. Ihre Träume, obgleich wie übereinander photographierte Bilder, waren nicht immer bloße Einbildungen. Sie bedeuteten hie und da eigensinnige Fingerzeige und Sato erfuhr durch sie, was sich zur Zeit in ihrer näheren und weiteren Umgebung zutrug. Auch jetzt war Ähnliches der Fall. Sie schlief unter den Myrthen- und Arbutusbüschen, dort, wo sie die Umarmungen Gonzagues und Juliettens belauscht hatte. Da meldete ihr etwas, daß Nunik nahe, und zwar an der Spitze eines großen Gefolges.
    In wilden Sätzen schoß Sato dahin, ihrer Eingebung folgend, die ihr die Richtung wies. Es war noch immer Nacht, als sie das vielgefaltete Plateau des Damlajik hinter sich ließ und südlich der brennenden Wälder den Kamm des Berges überschritt. An dieser Stelle wird er, von dem rotbeerigen Gesträuch und einzelnen Baumgruppen abgesehen, immer leerer und steiniger. Bis hierher hatte das Feuer seine Flügel gespannt gehabt. Verkohlte Bäume und einzelne glosende Vegetationsinseln legten Zeugenschaft für den großen Brand ab. Er selbst aber zog seine Vorposten und Fahnen immer enger in das Hauptlager zurück, von dem er ausgegangen war, in die Steineichenschlucht. In ihrem Umkreis besaßen die Flammen noch einige Kraft und man konnte das langatmige Fauchen, Zischen und Krachen in der nächtlichen Stille weithin hören. Der Damlajik hatte sich in breiter Linie von Bitias bis Hadji Habibli durch den Glutpanzer gegen alle Angriffe gesichert. Hier waren die Vorberge, Einschnitte, Schluchten, kleine Täler alle in die Festung des Brandes einbezogen, der sich erst in den Weinhängen und Obstgärten verlor. Jetzt freilich sank sein Leben immer matter zusammen, hinterließ aber ein unüberwindliches Niemandsland von rotglimmenden Girlanden, von dunkelglühenden Kohlenblöcken, von qualmenden Aschenquadern und faltigen Rauchvorhängen wie aus graubraunem Samt. Die Quellen und Bäche, die zu Tale liefen, waren nicht etwa versiegt, sondern sie hatten sich neue Pfade gegraben und kamen an den Grenzen des Randbereiches wie Heilsprudel dampfend zum Vorschein.
    Sato begegnete Stephans Totengefolge in einer kleinen gedeckten Schlucht, die zur vorletzten Verteidigungsstellung im Süden emporführte. Nunik und die Ihren waren nicht nur wegen der weiten durch den Waldbrand erzwungenen Umwege so langsam vorwärtsgekommen. Das Hindernis lag im Alter und Siechtum des Gefolges selbst. Denn diesmal hatte sich den nervig stracken Klagefrauen alles angeschlossen, was es im Talgrund an verborgener Bresthaftigkeit gab, die letzte bittere Neige des Armenierstammes. Sogar die irrsinnigen Weiber folgten in gemessenem Abstand, da sie ja vom Gräbervolk

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