Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
nur eine Beschäftigung: die Fabrikation von Kot! Denn die Politik, die Industrie, die Landwirtschaft, die Kriegskunst, ist dies alles etwas andres als Fabrikation von Kot, wenn sie vielleicht auch notwendig sein mag? Nimmst du dem Menschentier den Kot fort, so bleibt in seiner Seele das Schrecklichste zurück, die Langeweile. Er hält es mit sich selbst nicht aus. Und aus dieser Langeweile kommt alles Böse, der politische Haß und der Massenmord. – In den Menschenengeln aber lebt das Entzücken! Oder bist du vielleicht nicht verzückt, Kilikian, wenn du die Sterne siehst? Das Entzücken in den Menschenengeln ist dasselbe, was der Lobgesang der wirklichen Engel ist, von dem der große Agathangelos behauptet, daß er die höchste und aktivste Tätigkeit im Universum überhaupt sei … Aber wohin komme ich? Ich wollte sagen, daß es Menschenengel gibt, die sich selbst verraten, die von sich selbst abfallen. Für diese aber gibt es kein Erbarmen und keine Gnade. Jede Stunde nimmt Rache an ihnen …«
    Hier verlor Krikor von Yoghonoluk, der Wortgewaltige, den Faden und schwieg. Sarkis Kilikian schien von alldem nichts begriffen zu haben. Plötzlich aber legte er seinen Tschibuk zur Seite:
    »Es gibt allerlei Seelen«, sagte er, »manche werden schon in ihrer Kindheit vernichtet und niemand fragt danach, was das für Seelen sind …«
    Er zog mit seinen gefesselten Händen ein Rasiermesser aus der Tasche und klappte es auf:
    »Sieh her, Apotheker! Glaubst du nicht, daß ich damit diese Riemen durchschneiden könnte? Glaubst du nicht, daß ich mit ein paar Fußtritten diese ganze Bude zertrümmern könnte? Und doch tu ichs nicht.«
    Krikors Stimme klang hohl und gleichgültig wie in früheren Zeiten:
    »Dieses Messer besitzt jeder von uns, Kilikian. Aber was nützt es dir? Wenn du dich auch befreist, über die Grenze des Lagers kommst du doch nicht hinaus. Wir können daher nur die innere Gefangenschaft zerbrechen.«
    Der Deserteur sagte darauf nichts mehr und lag still. Krikor aber holte irgend ein Buch aus seiner Büchermauer und begann, die nickelgefaßte Brille auf der Nase, mit einschläferndem Klang daraus vorzulesen. Kilikian hörte mit seinen unbewegten Achat-Augen den langatmigen Perioden zu, in denen vom Wesen und Einfluß der Gestirne die unklare Rede ging. Es war das letztemal, daß der Apotheker von Yoghonoluk Gelegenheit fand, einen jungen Menschen an seinem Reichtum teilnehmen zu lassen. Aus unverständlichen Gründen erschien es ihm der großen Mühe wert, sich in diesem entlaufenen Priesterzögling einen neuen Jünger zu erziehen. Vergebliche Mühe! In der nächsten, der eben vergangenen Nacht schon war der Menschenfischer wieder einsamer denn je.
     
    Krikor näherte sich an seinen beiden Stöcken langsam der Bahre. Sein gelbes Gesicht blieb über dem toten Bagradiansohn gebeugt, lautlos. Dann begann er seinen spitzen, kahlen Schädel minutenlang zu schütteln. Dies aber war nicht nur das gewöhnliche Kopfwackeln, das ihn seit seiner Krankheit häufig anfiel. Es bedeutete das fassungslose Nicht-Begreifen einer Welt, in der zum Geist verpflichtete Wesen, anstatt in die Wonnen der Definitionen, Formeln und Verse einzudringen, sich mit fanatischem Gurgelabschneiden befassen. Wie wenig Menschenengel gibt es und auch diese wenigen noch verraten ihre Engelschaft und fallen ab. Er suchte in seinem eigentümlichen Zitatenschatz nach einem Wort, an dem er sich hätte aufrichten können. Aber sein Herz war jetzt viel zu kummervoll, als daß er das Richtige gefunden hätte. Verkrümmt und schief humpelte er in die Baracke zurück. Unter seinen Tinkturen bewahrte der Apotheker eine winzige Kugel aus dünnem Glas auf, die mit einem Tropfen Siegellack verschlossen war. Vor Jahrzehnten hatte er nach dem Rezept eines mittelalterlichen Mystikers aus Persien versucht, das wahre königliche Rosenöl herzustellen, dessen Kenntnis der Welt längst entfallen war. In der Glaskugel ruhte der einzige Tropfen dieser in tagelangen Mühen gewonnenen Essenz. Noch einmal schleppte sich Krikor bis zur Bahre und zerdrückte die dünne Kugel auf des Toten Stirn. Sogleich schnellte ein starker Duft auf, der mit sehnig gebreiteten Schwingen über dem Haupte des Gemordeten schweben blieb. Und der Duft glich wirklich jenem Genius, dessen unsichtbarer Leib, nach den Worten von Krikors persischem Gewährsmann, aus den Wesenheiten von dreiunddreißigtausend Rosenblüten gebildet ist.
    Mittlerweile waren Ter Haigasun und Bedros Hekim

Weitere Kostenlose Bücher