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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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in die Hütte Vater Tomasians bringen. Das Kind werde in dem Sündenpfuhl der Bagradians von Gottes Strafe nie und nimmer befreit werden. Der Pastor, der unter der seelischen Verwirrung seiner Frau tief litt, sah sie verständnislos an: »Wenn die Bagradian eine Sünderin ist, was hat das mit Gottes Strafe und unserem Kind zu tun?« Howsannah nahm den Säugling von der Brust. Sie spürte, wie der aufsteigende Zorn ihre Milch vergiftete: »Also auch du willst blind sein, Pastor?« Er versuchte, ihr das Unsinnige ihres Wahnes klarzumachen. Aber er hätte in diesem Augenblick kein schlechteres Kampfmittel wählen können als die Logik. Howsannah schrie ihm die Ehrlosigkeit Iskuhis ins Gesicht. Nun aber empörte sich Aram Tomasian und wies seine Frau bitter zurecht. Iskuhi opfere sich unter größter Lebensgefahr für eine Fremde auf, von der sie ein paar Freundschaftsdienste empfangen habe. Bei Tag und Nacht liege die Last der Pflege beinahe allein auf ihr, die doch selbst krank und gebrechlich sei. Für ihre reine Herzensgüte und Christlichkeit werde sie nun so gemein beschimpft; und von wem, von der eigenen Schwägerin! Nur weil er, Aram, den Zustand Howsannahs begreife, wolle er nichts gehört haben und verzeihe ihr. Howsannah aber lachte höhnisch: »Du kannst dich ja davon überzeugen, Pastor, wie deine herzensgute Iskuhi die Kranke pflegt. Steck nur den Kopf in ihr Zelt! Du findest sie mit ihm beisammen. Manchmal spazieren sie auch ganz frech miteinander draußen herum …«
    Das Lachen und die Worte Howsannahs klangen dem Pastor während des Abstiegs unablässig im Ohr. Er konnte an nichts anderes denken, obgleich doch die Fischerei angesichts der unerbittlichen Sachlage ein dringenderes Problem war als alles andre. Immer eisiger griff die Wahrheit nach seinem Herzen. Der unbegreifliche Haß Howsannahs verzerrte alles. Gott hatte ihn in diesem Kinde für die große Sünde von Marasch gestraft, für den Verrat an seinen Waisen. Er selbst war der Schuldige und nicht Iskuhi. – Unten bei den Klippen angelangt, erfuhr Aram zum Überfluß, daß seine große Idee bisher nur die dürftigste Verwirklichung gefunden hatte. Trotz der glatten See war das Floß während der kleinen Fahrt auseinandergefallen und drei der jugendlichen Fischer und Schiffer wären dabei fast ums Leben gekommen. In Hinblick auf solche Gefahr erschien die Ausbeute mehr als dürftig: zwei mäßige Körbe, angefüllt mit winzigen Silberfischlein und gestaltlosem Meergewürm. Der Inhalt genügte gerade für einen großen Suppentopf. Nachdem Tomasian seinen Spott über derartige Seeleute ergossen hatte, traf er neue Anordnungen. Man mußte nicht gleich beim erstenmal allen Mut verlieren. Immerhin zeigte die Salzbleiche erfreulichere Resultate als der Fischfang. Ein gutes Maß Salz konnte in die Stadtmulde geschafft werden.
    Aram Tomasian hatte sich kaum eine Viertelstunde an der Küste aufgehalten, als er, von seinem schweren Herzen getrieben, bereits wieder den Rückweg antrat. Er war durchaus nicht im klaren darüber, was er zu unternehmen habe, um Iskuhi zu retten. Hatte er nicht der Schwester gegenüber, selbst als sie noch ein Kind war, stets Zurückhaltung und Respekt gewahrt? Bei Iskuhi wars anders auch gar nicht möglich. Ihre trotz aller Stille und freundlicher Unterordnung kristallharte Persönlichkeit verbot jeden Übergriff. Zwischen den Geschwistern hatte von jeher eine feine keusche Form geherrscht, die es vermied, die Grenzen der Teilnahme zu überschreiten. Und jetzt sollte er, dem Iskuhis Seele immer heilig gewesen, sie mit rohen Offenheiten steinigen? Der verständnisvolle Mensch, der zartfühlende Bruder sollte auf einmal den polternden Mann Gottes spielen? Und dabei waren Howsannahs Reden zweifellos nur eine Ausgeburt ihrer Verstörung.
    Aram Tomasian hatte in Zeitun und auf dem Musa Dagh genügend Beweise seiner Tapferkeit abgelegt. Jetzt aber, da er schon den buschreichen Abschluß des Felsgeheges erreichte, war er mutlos und unentschlossen. Wäre es nicht die anständigste Lösung, Gabriel Bagradian in Person zur Rede zu stellen? Aber wie? Durfte man sich an einen Mann von seinem Range, von seiner achtunggebietenden Höhe mit solch häßlichem Verdacht heranwagen? An einen Mann noch dazu, der, von grausamen Schicksalschlägen getroffen, in diesen Tagen um das Leben seines einzigen Sohnes zitterte und verzweifelte? Tomasian sah keinen Ausweg. Er war so gut wie entschlossen, vorderhand an die Sache nicht zu rühren. Ehe er zur

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