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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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übertriebener Verbeugung die angebotene Zigarette entgegen:
    »Ich wende mich unmittelbar an Eure Exzellenz, weil ich die Großmut Eurer Exzellenz kenne … Eure Exzellenz werden mein Anliegen schon erraten haben …«
    Der vierschrötige Dschemal mit seiner schiefen Schulter stellte sich dicht vor den Kaimakam hin, dessen schwere, schlaffe Gestalt ihn hoch überragte. Die dicken Asiatenlippen des Generals durchstießen gehässig den schwarzen Bartrahmen:
    »Es ist eine Schande«, zischte er, »eine ekelhafte Schande!«
    Der Kaimakam neigte mit betonter Zerknirschung das Haupt:
    »Ich wage es, Eurer Exzellenz völlig beizustimmen. Es ist eine Schande! Ich aber habe das Unglück und nicht die Schuld, daß diese Schande gerade meine Kasah trifft.«
    »Keine Schuld? Ihr Zivilisten habt allein die Schuld, wenn wir wegen all dieser infamen Armeniergeschichten den Krieg verlieren und vielleicht ganz zugrunde gehn!«
    Den Kaimakam schien diese Prophezeiung tief zu erschüttern:
    »Es ist ein Unglück, daß nicht Eure Exzellenz die Politik in Stambul leiten!«
    »Es ist ein Unglück, darauf können Sie sich verlassen.«
    »Ich aber bin schließlich nur ein Beamter und habe die Befehle der Regierung gehorsamst entgegenzunehmen.«
    »Entgegennehmen? Auszuführen, mein Lieber, auszuführen! Wieviele Wochen dauert dieser Skandal schon? Mit einem Haufen zerlumpter, verhungerter Bettler könnt ihr nicht fertig werden … Die Erfolge des Herrn Kriegsministers, haha, und des Herrn Innenministers!«
    Die kleine Dschemal trat zu dem Riesen Osman und schlug ihm mit der flachen Hand auf die Brust, daß dieses Waffenmuseum erklirrte:
    »Meine Leute erledigen so etwas in einer halben Stunde … was?«
    Osman grinste. Doch auch der Kamaikam lächelte süßsauer:
    »Eure Exzellenz haben mit dem Zug an den Suez-Kanal eine der größten Kriegstaten unserer Geschichte vollbracht … Ich bitte um Verzeihung, daß ich mir als Zivilist ein Urteil anmaße … Aber das Größte an diesem Feldzug sind die geringen Verluste, die er Eure Exzellenz gekostet hat.«
    Dschemal Pascha lachte bitter auf:
    »Richtig, Kaimakam! Ich bin nicht so splendid wie Enver.«
    Jetzt machte der Kaimakam seine geschickteste Wendung:
    »Die Aufständischen der sieben Dörfer sind ausgezeichnet bewaffnet. Sie haben sich auf dem unzugänglichen Damlajik verschanzt. Ich bin kein Offizier, Exzellenz, und verstehe nichts davon. Die Saptiehs und die Assistenztruppen aber haben alles getan, was zu machen ist. Ich, als Leiter und Augenzeuge der Operationen, muß jede Verunglimpfung dieser Offiziere und Mannschaften energisch zurückweisen. Ich lehne es aber auch ab, unter den gegebenen Umständen, auch nur ein einziges Menschenleben mehr zu opfern. Eure Exzellenz, als unser größter Feldherr, wissen es viel besser als ich, daß man eine Bergfestung ohne Gebirgsartillerie und Maschinengewehre nicht säubern kann. Mögen die Verfluchten triumphieren! Ich habe das Meine getan!«
    Dschemal Pascha, der seiner auffahrenden Natur in unaufhörlicher Zucht Selbstbeherrschung abtrotzen mußte, konnte seine Stimme nicht bezwingen:
    »Wenden Sie sich an den Kriegsminister«, schrie er. »Ich habe keine Gebirgsartillerie und keine Maschinengewehre. Meine ganze Macht ist eine Redensart. Ich bin der armseligste Heerführer des Reiches. Die Herren in Stambul haben mich bis auf die letzte Patrone ausgeplündert … Und, überhaupt, das Ganze geht mich nichts an.«
    Der Kaimakam wurde sehr ernst und kreuzte die Arme über seine Brust wie zum Selam:
    »Eure Exzellenz verzeihen, wenn ich zu widersprechen wage. Aber die Sache geht Eure Exzellenz doch ein wenig an … Nicht nur die politische Behörde macht sich durch diesen Mißerfolg vor der ganzen Welt lächerlich, sondern auch die Truppen der Vierten Armee, die den berühmten Namen Eurer Exzellenz trägt.«
    »Wofür halten Sie mich«, höhnte Dschemal, »so billig ködert man mich nicht.«
    An dem gewaltigen Osman vorbei verließ der Kaimakam das Zimmer des Pascha, dem Anschein nach sehr betreten, im Innern aber nicht hoffnungslos. Die Hoffnung täuschte ihn nicht. Derselbe Osman weckte ihn nach Mitternacht in seinem Quartier und lud ihn unverzüglich zu Dschemal ein. Durch solche überraschende Einladungen zu unmöglicher Stunde liebte es der Diktator Syriens, sich selbst seine Macht und andern seine Originalität zu beweisen. Er empfing den späten Besuch nicht in Uniform, sondern in einem phantastischen Burnus, der seiner durchaus

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