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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Händen das Dokument in den Wagen zurück:
    »Es handelt sich hier um kein Deportationslager, sondern um Aufständische, um Hochverräter, die sich verschanzt und türkisches Blut vergossen haben.«
    »Meine Mission geht an alle Armenier«, erklärte der Agha gemessen, verstaute seinen Teskeré fürsorglich in der funkelnagelneuen Aktentasche eines smarten Kaufmanns und entnahm ihr ein anderes Dokument, dem man schon äußerlich ansah, daß es eine stärkere Beschwörungsformel vorstellte. Es war ein großes, kunstvoll gefaltetes und mit einem komplizierten Stempel versehenes Blatt. Die Augen des Müdirs mußten sich erst an die schnörkelstolze Schönschrift in arabischen Lettern gewöhnen, ehe sie den Namenszug des Scheikh ül Islam entzifferten, sowie die Aufforderung, die das geistliche Oberhaupt der Türkei an jeden gläubigen Moslem ergehen ließ, dem rechtmäßigen Vorzeiger dieses Blattes zu Willen und dienstbar zu sein, was immer er auch begehre. – Welchen Einfluß diese Mottenwelt noch immer besitzt, ging es dem Müdir durch den Kopf. Das Scheikhül-Islamat war trotz Enver und Talaat eines der mächtigsten Staatsämter. Dieser mittelalterliche Wisch bedeutete einen dienstlichen Befehl, dessen Nichtbefolgung ihm teuer zu stehen kommen konnte. Sein Blick lief die Tragtiere ab, die mit großen Mehlsäcken bepackt waren:
    »Und welche Bestimmung haben diese Säcke?«
    Rifaat Bereket hüllte die Antwort, wie es seine Art war, in ein würdevolles Zwielicht:
    »Sie haben dieselbe Bestimmung, die ich habe.«
    Der Müdir wandte sich mit umständlichen Worten an den Agha, obgleich es ihn ärgerte, daß der alte Türke vor ihm, dem Regierungsvertreter, unbeweglich sitzen blieb, als habe er es mit einem Bedienten des ancien régime zu tun:
    »Ich weiß nicht, Effendi, ob du dir eine richtige Vorstellung von den Tatsachen machst. Die Armenier dieses Bezirks haben sich den Befehlen der Regierung widersetzt und auf dem Musa Dagh verschanzt. Sie haben es gewagt, dem Militär zu trotzen, sich selbst zu bewaffnen und türkische Soldaten zu töten. Wir sind schon seit vielen, vielen Tagen gezwungen, diese gemeinen Verbrecher zu belagern. Jetzt hungern wir sie aus. Einige Tage noch, und sie werden mürbe sein. Da aber kommst du, Agha, mit deiner Mission und deinen Proviantsäcken und willst den Hochverrätern, den Staatsfeinden, den Feinden deines Padischah Hilfe bringen, damit sie der rechtmäßigen Behörde noch länger Widerstand leisten können?«
    Rifaat Bereket hörte diese lange Rede mit müde gesenktem Haupte an. Nachher erst streifte er den Müdir mit einem kühlen Blick seiner leicht vorgewälzten und umrunzelten Augen.
    »Wart ihr nicht ärgere Feinde eures Padischah als sie? Seid ihr nicht seinen Soldaten mit der Waffe in der Hand entgegengetreten, und zwar als Angreifer? Revolutionäre dürfen sich niemals auf Rechtmäßigkeit berufen.«
    Während er noch sprach, tauchte seine Hand zum drittenmal in die Wundertasche. Es war beinahe wie im Märchen, als er nun den stärksten Zauber hervorzog: ein gerolltes Pergamentblatt, das zuoberst den diamantgeschmückten Turban des Sultans als Signet trug. Der Großherr und Kalif, Mohammed der Fünfte, befahl in dieser Irade all seinen Untertanen, insonderheit den Zivil- und Militärbehörden, daß sie dem Agha Rifaat Bereket aus Antakje bei all seinen Unternehmungen bereitwillig Vorschub leisten und ihm kein Hindernis in den Weg legen sollten. Der rothaarige Müdir sah betroffen drein. Die alte Welt war hier vollzählig aufgeboten, das mußte er sagen. Er drückte den Namenszug des Padischah flüchtig und widerstrebend an Herz, Mund und Stirn. Es war eine Gebärde, die zu seinem knappsitzenden Sommeranzug, der knallroten Krawatte und den kanariengelben Halbschuhen ganz und gar nicht paßte. Was war zu tun? In jedem bürokratischen Staat hat der Beamte mit zwei gewaltigen Strömen zu rechnen, in deren Fluten er leicht untergehen kann. Der eine ist der »Dienstweg« mit seinen heimtückischen Wirbeln, der andre gefährlichere aber der Strom der empfindlichen Beziehungen, der zwischen den Mächten, Ressorts und Persönlichkeiten hin- und herwogt. Am besten ist es daher, jeder Entscheidung aus dem Wege zu gehn und lieber den Vorgesetzten sich verbrennen zu lassen. In diesem Falle aber gab es keinen solchen. Der junge Müdir war sein eigener Vorgesetzter. Er mußte selbsttätig die Entscheidung treffen. Die Verproviantierung der Rebellen konnte unmöglich geduldet, ein von

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