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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Seiner Majestät dem Sultan begünstiger Mann unmöglich abgewiesen werden. Der Schlaukopf aus Salonik heckte zu guter Letzt ein Kompromiß aus, zu dem er sich erst nach langen Kämpfen und heftigen Verzweiflungsausbrüchen bestimmen ließ. Der Agha erhielt die Erlaubnis, die türkische Belagerungszone zu überschreiten. Der Train mit dem Mehl mußte im Tal bleiben. Hierin konnte Rifaat Bereket nicht das geringste erreichen. Ob er denn nicht die neuen Gesetze kenne? In Syrien herrsche Hungersnot. Über das Schicksal dieses Mehls werde der Kaimakam in Antakje zu bestimmen haben. Hingegen ließ der Müdir, was die reinen Genußmittel anbelangt, mit sich reden. Es waren nämlich auch noch einige kleinere Säcke mit Kaffee und Zucker, sowie ein paar Ballen Tabak vorhanden. Das spielte keine besondere Rolle, da es die Ernährungslage auf dem Damlajik nicht verändern konnte. In diesem Punkte gab der Müdir endlich nach, indem er immer wieder betonte, daß er damit unrecht tue. Zuletzt erkundigte er sich nach den Begleitern des Agha:
    »Es sind meine Diener und Gehilfen. Hier ihre Pässe! Sieh nach! Alles ist in Ordnung!«
    »Und dieser da? Warum geht er verschleiert wie ein Weib?«
    »Er hat eine häßliche Krankheit im Gesicht und muß sich vor der Luft schützen. Soll er den Schleier aufheben?«
    Der Müdir verzog den Mund und winkte ab. Mehr als eine Stunde war vergangen, ehe sich die Yayli in der Richtung nach Bitias entfernen konnte. Ein Zug Infanterie unter Kommando eines Mülasim marschierte zu Seiten des Wagens. Zwei Packesel mit dem Kaffee, Zucker und Tabak folgten sowie drei Reittiere für den Agha und seine beiden Gehilfen. Als der Weg nicht mehr zu verfehlen war, ließ Refaat Bereket den Wagen zurück und bat den Mülasim, mit seinen Leuten haltzumachen, damit der Aufzug von den Armeniern nicht mißverstanden werde und kein Kampf entbrenne. Der Offizier war mit diesem Vorschlag zufrieden und lagerte sich samt seinen Soldaten unter Beobachtung aller Vorsichtsmaßregeln im Walde. Die drei Alten ritten weiter, seitlich auf ihren Eseln sitzend, während die beiden Tragtiere ihnen nachgetrieben wurden. Der verschleierte Mann ging nebenher. In der rechten Hand trug er die grüne Fahne des Propheten, in der linken die weiße des Friedens.
     
    Sie saßen einander im Scheichzelt gegenüber. Der Agha hatte diese zeugenlose Unterredung mit Gabriel Bagradian gefordert. Mit verbundenen Augen waren die Türken, wie es bei Parlamentären der Brauch ist, vom Nordsattel auf den Dreizeltplatz geführt worden. Nun hockten die Begleiter des Agha neben den Packeseln, von deren Rücken die Treiber die Säcke und Ballen abluden. Im Umkreis dieser Gruppe vermehrte sich die Menge von Minute zu Minute. Die Armenier aber kamen den Türken nicht nahe, aus einer tiefen Scheu, wie es schien. Jedes Herz klopfte zum Zerspringen. Was bedeutete die Gesandtschaft? Die Rettung? Das Leben?
    Agha Rifaat Bereket benahm sich, was bedächtige Würde und Zeitverschwendung anbelangt, nicht anders, als säße er im milden Tagdunkel seines Selamliks. Unaufhörlich wie die Zeit selbst rollten die Bernsteinkugeln des Gebetkranzes durch seine Finger:
    »Ich bin gekommen, als der Freund deines Großvaters, als der Freund deines Vaters, als der Freund deines Bruders, Gabriel Bagradian, und ich bin gekommen als der Freund der ermeni millet. Du weißt, daß ich meine Arbeit dem Frieden zwischen unsern Völkern gewidmet habe, der nun zerstört ist, für immer …«
    Er brach diese litaneiartigen Worte ab. Dann hing sein bekümmerter Blick an dem Gesicht dieses einst so jugendlich gepflegten Europäers. Er hätte die wilden, zusammengeschobenen Züge im krausen Bart nie wieder erkannt. Er versenkte sich eine Weile lang in sich selbst, ehe er wieder anhob:
    »Schuld ist hier und dort … Ich sage das nur, damit sich trotz aller Geschehnisse dein Urteil nicht verwirre und dein Herz nicht verhärte.«
    Gabriels Gesicht wurde noch kleiner und grauer:
    »Wer dort ist, wo ich bin, der weiß nichts mehr von Schuld. Mich kümmert keine Schuld mehr, kein Recht und keine Rache …«
    Rifaats Hände standen still:
    »Du hast deinen Sohn verloren …«
    Bagradian hatte zufällig in seine Tasche gegriffen. Dabei war ihm die griechische Münze in die Hand geraten, die er als Amulett immer bei sich trug. »Dem Unerklärlichen in uns und über uns.« Er hielt sie hoch:
    »Dein Geschenk hat mir wenig Glück gebracht, Agha. Die Münze mit dem Königskopf hab ich an dem Tag

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