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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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nicht einwandfreien Gestalt das Ansehen eines prachtvollen Beduinenscheichs gab:
    »Kaimakam, ich habe die Sache ganz durchgedacht und bin zu Entschlüssen gelangt …«
    Er schlug mit seiner roten Plebejerhand flach auf den Tisch:
    »Das Reich ist das Opfer von Irrsinnigen und von unfähigen Strebern …«
    Der Kaimakam wartete mit bestätigender Schwermut des Kommenden. Osman stand in voller Parade an der Tür. Wann schläft dieser Kerl eigentlich, überlegte der Regent von Antiochia. Dschemal Pascha ging auf und ab:
    »Sie haben recht, Kaimakam, die Schande trifft auch mich. Sie muß verschwinden, sie darf nie gewesen sein, verstanden?«
    Der Kaimakam wartete noch immer wortlos. Der kleine General drehte sein haßverzehrtes Bartgesicht zu ihm empor:
    »Zehn Tage haben Sie Zeit, dann muß diese Geschichte vorbei und vergessen sein … Ich werde Ihnen einen meiner tüchtigsten Herren schicken und alles Nötige … Sie aber haften mir … Ich will nichts mehr hören …«
    Der Kaimakam war klug genug, keinen Laut von sich zu geben. Dschemal Pascha trat zwei Schritte zurück. Jetzt sah er wirklich bucklig aus:
    »Ich will nichts mehr hören von der ganzen Sache … Wenn ich aber etwas hören muß, wenn es nicht ganz glatt geht, lasse ich alle Schuldigen füsilieren … und auch Sie, Kaimakam, werden zum Teufel gehn …«
     
    Der sommersprossige Müdir, der in der Villa Bagradian residierte, wurde an diesem Tag zweimal aus seinem Kef-Schlummer gerissen. Das erstemal wars eine Depesche des Kaimakams, die ihn von dessen bevorstehender Ankunft in Kenntnis setzte. Als aber der Feldwebel der Saptiehs von neuem erschien, um ihn wegen eines bedenklichen Ereignisses aus der kühlen Villa in die unerträgliche Mittaghitze zu holen, da fluchte er auf den lästigen Kerl wild los und hätte ihn am liebsten geschlagen. Auf dem Kirchplatz von Yoghonoluk jedoch beschleunigte er seinen Schritt, denn der Anblick war wirklich recht ungewöhnlich. Vor der Kirche stand eine nicht mit Pferden, sondern mit Eseln bespannte Yayli. Eigentlich aber wars gar keine Yayli, sondern irgend eine altertümliche Karosse mit großen Rädern. In dieser Karosse saß ein alter Herr, der seinem Wesen und seinen Kleidern nach vorzüglich hineinpaßte. Ein dunkelblauer Seidenmantel reichte ihm bis zu den Füßen, die in weichen Ziegenlederschuhen staken. Um den Fez trug der vornehme das Tarbuschtuch des Frommen geschlungen. Die zarten, fast altfrauenhaften Finger zählten unablässig die Kugeln eines Bernsteinkranzes ab. Der Müdir erkannte in dieser Erscheinung sofort einen patrizischen Alt-Türken, einen Parteigänger des gegnerischen Lagers, das trotz der Revolution seine Macht nicht völlig eingebüßt hatte. Jetzt erinnerte er sich, dieser Persönlickeit in Antakje zwei- oder dreimal begegnet zu sein, wo sie von der Bevölkerung ehrfürchtig gegrüßt worden war. Die Yayli stand nicht allein da. Hinter ihr stampfte und scharrte ein Troß hochbepackter Esel. Außer den Treibern sah der Müdir noch zwei ältere Türken mit einem milden, fast verklärten Ausdruck und einen mageren Menschen, der am Wagenschlag lehnte und dessen Gesicht dicht verschleiert war. Der junge Mann aus Salonik legte die Hand an die Stirn, um das Alter höflich zu grüßen. Agha Rifaat Bereket winkte ihn herbei. Der traditionsfeindliche Anhänger Ittihads trat sachte an den Wagen heran und nahm die Worte des Alten entgegen:
    »Wir sind auf dem Wege ins armenische Lager. Gib uns Führer mit, Müdir!«
    Der also von oben behandelte Bezirkshauptmann erstarrte:
    »Ins armenische Lager? Seid ihr geisteskrank?«
    Rifaat Bereket kümmerte sich um diese liebenswürdige Frage nicht. Auf dem Rücksitz der Kutsche lag eine ganz neue moderne Aktentasche aus gelbem Rindsleder, die wie ein tatkräftiger Gegensatz zu dem sonst so behäbigen Aufzug wirkte. Die feinen weißen Finger öffneten den Druckverschluß.
    »Ich habe eine Mission an die Armenier.«
    Der Agha reichte dem Rothaarigen seinen Teskeré, der darin zu forschen begann. Als er das Richtige nicht zu finden schien, gebot ihm Bereket ohne jede Ungeduld:
    »Lies die Schrift über dem Stempel!«
    Und wirklich, der Müdir gehorchte mit solcher Bereitwilligkeit, daß er den Text sogar laut zum besten gab:
    »Der Inhaber dieses Passes erhält zu allen armenischen Deportationslagern Zutritt, der ihm von keiner politischen und militärischen Behörde verweigert werden darf.«
    Der junge Mann reichte mit seinen vorbildlich gepflegten

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