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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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ihnen, sie dürften dieses wunderbare Asyl solange bewohnen, bis der normale Zustand wieder eintrete. Doch schon am dritten Tage ihres Schlaraffenlebens teilten die Armeniersöhne Herrn Hoffmann mit, daß sie nun die Zeit für gekommen hielten, zu den Ihren auf dem Musa Dagh schleunig zurückzukehren. Zur selben Stunde, da sie ihren gütigen Gastvater von diesem Entschluß in Kenntnis setzten, wollte es eine besondere Fügung, daß Generalkonsul Rößler in Alexandrette eintraf, und zwar mit dem ersten Zuge der zwischen Toprak-Kaleh und der Hafenstadt neueröffneten Zweiglinie der Bagdadbahn. Rößler riet den beiden Jünglingen auf das dringendste, Gott für ihre Rettung zu danken und den sicheren Zufluchtsort keinesfalls zu verlassen. Der Gedanke an Entsatz bringende Kriegsschiffe sei nichts als der Wahn von Leuten, die durch ihr Elend verrückt geworden seien. Zum ersten gebe es im nordöstlichen Mittelmeer überhaupt keine französischen Kreuzer. Im Hafen von Zypern sei zwar eine englische Flotte stationiert, diese aber habe den Suezkanal und Ägypten zu bewachen und verirre sich niemals nach dem Norden. Wozu auch? Eine Möglichkeit, an der syrischen Küste Truppen zu landen, bestehe nicht. Zum zweiten aber bedeute die Aufnahme von flüchtigen Armeniern in einem Konsular-Haus einen preisenswerten Glücksfall, der sich klarerweise nur sehr selten ereignen könne. Wirklich helfen freilich könne weder er, Rößler, noch auch sein amerikanischer Kollege in Aleppo, der verehrte Mr.Jackson. Dabei erwähnte der Generalkonsul mit großer Befriedigung, daß es Jackson vor wenigen Tagen gelungen war, einen Armenierjungen zu bergen, der ebenfalls dem Armenierlager auf dem Musa Dagh entkommen sein sollte. Die Schwimmer freuten sich herzlich über Haiks Glück, dankten für die wohlwollenden Ratschläge Herrn Rößlers und Herrn Hoffmanns, erklärten aber dennoch, sie wollten so bald wie möglich den gefahrvollen Weg in ihr Elend zurückwandern. Auf neuerliche Mahnungen, ja Beschwörungen erwiderten sie mit der wortkargen Verlegenheit, in die junge kräftige Männer eine derartige Gefühlsäußerung versetzt:
    »Wir haben Vater und Mutter oben … und auch unsre Mädchen … Das könnten wir nicht aushalten … Wenn dort das Unglück geschieht und wir sind hier … am Leben … und in diesem schönen Haus …«
    Am zweiten Tag des neuen Monats ließ Vizekonsul Hoffmann die Schwimmer ziehen, nachdem alle Bekehrungsversuche fehlgeschlagen waren. Da er durch sie von der Brot-Entbehrung auf dem Damlajik wußte, erwarb er auf einem nicht ganz rechtmäßigen Umweg von der kaiserlich ottomanischen Militärintendantur zwei Säcke mit Dauerzwieback, die er den Heimkehrenden mitgab. Seine schönste Tat aber war es, daß er die Konsular-Yayli anspannen ließ. Die Schwimmer mußten sich rechts und links von ihm in den Wagenfond setzen. Neben dem Kutscher in seiner hohen Pelzmütze prangte der uniformierte Khawass und schwenkte langsam aber unablässig eine kleine deutsche Reichsfahne. Stolz fuhren sie an dem Saptiehposten vorbei, der die Zufahrten der Hafenstadt scharf überwachte. Die Gendarmen nahmen stramme Stellung und salutierten ehrfürchtig dem Vertreter des Deutschen Reiches, der Fahne und ihren zweifelhaften Schützlingen. Herr Hoffmann brachte sie auch noch an dem zweiten Posten bei Arsus vorbei. Dort stiegen die Schwimmer aus und nahmen, ihre Tränen nicht verbergend, von ihrem warmherzigen Gönner Abschied.
    Dieser Bericht währte länger als eine Stunde, durch Zwischenrufe, Seitenfragen, Abschweifungen und das Einanderins-Wort-fallen der Erzähler gedehnt. Es war für alle eine höchst wohltuende Stunde, obgleich der eigentliche Inhalt und Zweck des Berichtes hätte niederschmetternd wirken müssen. Der Botengang war vergeblich gewesen. Die Hoffnung auf Entsatz vom Meere her hatte sich als tollhäuslerische Phantasieausgeburt entlarvt. Und doch zitterte ein sanfter Lichtblick über den Menschen, die sich um die Helden in einem weiten dichten Kreis gelagert hatten. Die Schwimmer saßen auf der Erde und die Ihrigen waren, um ihren Anspruch kenntlich zu machen, ganz nahe an sie gerückt. Die Väter hörten mit sachgemäßer Miene zu, die zum Ausdruck brachte: Recht gut! Ungefähr so und vielleicht noch ein wenig klüger hätten wir uns auch verhalten. Die Mütter blickten mit fanatischem Stolz um sich. Die beiden Geliebten oder Bräute aber, die sich nun wider allen Brauch offen zur Familie bekannten, tasteten die

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