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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Myrthengebüsch unablässig den äußeren Hafen belauerten. In der vierten Nachmittagstunde etwa zeigte sich etwas schmales Graues, das aus weiter Ferne her in einer scharfen Kielschaumlinie der Küste zustrebte. Jede Vorsicht vergessend, flogen sie in weiten Sprüngen zur Küste hinab, stürzten sich ins Wasser und schwammen, an der hölzernen Landungsbrücke vorbei, in den offenen Hafen hinaus. Sie näherten sich, wie es ihr Auftrag erheischte, dem vermeintlichen englischen oder französischen Torpedoboot, das vor ihren Blicken rasch aufwuchs, in großem Bogen, erkannten aber sehr bald zu ihrem Entsetzen die Halbmondflagge am Heck. Doch auch an Bord hatte man die Schwimmer gesichtet. Schallende Zurufe! Als keine Antwort kam, wurden ihnen von der Besatzung der Inspektionsbarkasse des türkischen Hafenkommandanten, als welche sich ihr Irrtum entpuppte, ein Dutzend Gewehrschüsse nachgepfeffert. Sie tauchten und schwammen eine meisterhaft lange Strecke unter Wasser. Später verbargen sie sich zwischen den zyklopischen Felsen, auf denen die Landungsbrücke errichtet ist. Glücklicherweise war es schon Abend und der Hafen ausgestorben, dennoch konnten sie auf den morschen Planken der Brücke hoch über sich den schallenden Patrouillenschritt des Wachtpostens vernehmen. Da saßen sie nun, vollkommen nackt und naß. Ihre Kleider, ihr Proviant war dahin. Zum Überfluß begann jetzt noch ein nahes Blinkfeuer jede halbe Minute einmal über ihre Leiber scharf hinzutasten. Sie verkrochen sich, so gut sie konnten. In tiefer Nacht erst wagten sie es, mit Vermeidung der langen Hafenstraße, ans Land zu gehn. Es blieb ihnen keine andre Wahl, als entweder feige auf den Hügeln zu verschmachten, oder sich mutig in die Stadt zu wagen. Es ergab sich vorerst ein Mittelweg. Auf einer parkartigen Anhöhe, die gepflegten Schutz vor der Malaria bot, lagen mehrere große Herrschaftsvillen. Die Schwimmer waren, nach allem, was sie über Alexandrette gehört hatten, überzeugt davon, daß mindestens eine dieser Villen armenischer Besitz sein müsse. Gleich an dem ersten Gartentor gab ihnen das Namensschild, das sie im Mondschein entzifferten, recht. Das Haus aber war verschlossen, ohne Licht, die Laden vernagelt, tot. Die Boten ließen sich nicht abschrecken. Sie waren bereit, einzubrechen, um einen Unterschlupf zu finden. An der Gartenmauer lehnte ein Grabscheit und eine Hacke. Nun begannen sie mit verzweifelten Schlägen auf das Tor loszuarbeiten, ohne zu bedenken, daß ihr Gedonner auch den Todfeind wecken konnte. Doch schon nach wenigen Sekunden rasselte innen das Schloß. Es wurde geöffnet. Ein zitterndes Licht und ein zitternder Mann: »Wer?« – »Armenier! Gebt uns zu essen und versteckt uns, Jesus Christus!« – »Ich kann niemanden verstecken. Sie inspizieren täglich, von oben bis unten, die Saptiehs. Unsere Aufenthaltsbewilligung gilt immer nur für eine Woche. Und jede Woche kostet hundert Pfund. Wenn sie euch bei uns finden, so werden wir auch verschickt.« – »Wir kommen aus dem Meer. Wir sind nackt.« Der Lichtpunkt der Taschenlampe zitterte über die frierenden Körper: »Barmherziger Gott! Herein kann ich euch nicht lassen. Es wäre unser aller Verderben. Aber wartet hier!« Die Minuten zogen sich endlos. Dann wurden den Schwimmern durch den Torspalt zwei Hemden und zwei Decken gereicht. Auch Brot und kaltes Fleisch bekamen sie in großer Menge und dazu jeder noch zwei Pfund. Der schlotternde Volksgenosse aber flüsterte: »Im Namen des Erlösers bleibt hier länger nicht stehn! Schon hat man euch vielleicht bemerkt. Geht zum deutschen Vizekonsul! Er ist der einzige, der euch helfen kann. Herr Hoffmann heißt er. Ich schicke eine alte Frau mit euch, eine Türkin. Folgt ihr! Aber nicht zu nahe! Und redet nicht!«
    Das Haus des Herrn Hoffmann lag glücklicherweise in demselben Parkviertel. Der deutsche Vizekonsul erwies sich als ein sehr gütiger Mann, der für die Armenier seines Amtsbereiches mehr zu tun bestrebt war, als er durfte und als in seinen Kräften stand. Er gehörte zu den Mitarbeitern des Generalkonsuls Rößler in Aleppo, der sich von allem Anfang an der Verschickten mit Unerschrockenheit angenommen hatte und der einen Riesenkampf der Menschlichkeit gegen Ittihad, die Staatsräson und gegen die Verleumdung seiner eigenen Ehre auszufechten hatte. Hoffmann nahm die Schwimmer bereitwillig auf, sorgte für sie, gab ihnen ein Zimmer, herrliche Betten und dreimal täglich märchenhafte Mahlzeiten. Er versprach

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