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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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zu tun gedenke. Paßt gut auf, Männer! Ich werde jetzt auf alle Fragen zugleich eine Antwort geben …«
    Auch Gabriel Bagradian improvisierte in gewissem Sinne ähnlich wie der Pastor. Auch er hatte diesen Einfall, den er jetzt mit aller Schärfe entwickelte, nachts unter andern Einfällen hin und hergewendet, ohne ihn noch ganz ernst zu nehmen. Aber dies ist einmal so: Wird eine Idee oder eine Absicht in Worte gefaßt, so gewinnt sie damit schon die erste Stufe der Wirklichkeit und ein eigenes Schwergewicht. Er wandte sich an Nurhan Elleon, an Schatakhian und all diejenigen, von denen er Unterstützung erwartete:
    »Es gibt ein altes Mittel, das alle Belagerten seit je anwenden … Die Türken haben ihr Lager auf den Musa Dagh verlegt. Wenn sie auch sechs oder acht Kompagnien haben sollten und Gott weiß wie viel Saptiehs, so brauchen sie doch einen großen Teil dieser Truppen, um den Berg abzuriegeln. Ihr müßt euch nur ausrechnen, wie groß die Strecke von Kebussije etwa bis Arsus ist. Es ist klar, daß sie uns aushungern wollen und daß sie deshalb mit ihrem großen Angriff noch ein paar Tage warten werden. Das beweist auch die Abreise ihres Generals, der den Angriff leiten soll. Wie wichtig sind wir ihnen! … Ich nehme an, daß dieser General mit seinen Offizieren, dem Kaimakam und vielleicht noch andern hohen Persönlichkeiten sehr bald zurückkehren und in meinem Hause wohnen wird … Also, ich will einen Ausfall versuchen, verstehst du, Ter Haigasun? Folgendermaßen! Wir werden aus den besten Zehnerschaften eine Überfallsgruppe zusammenstellen. Ob es vier- oder fünfhundert Mann sein sollen, das weiß ich noch nicht. Bis heute abend werde ich die ganze Unternehmung genau ausgedacht und berechnet haben. Zwischen den Brandstellen gibt es Wege genug, um ins Tal zu kommen. Sie müssen genau ausgekundschaftet werden. Meines Wissens aber hat das Militär unten nur Patrouillen aufgestellt, die in der Nacht das Tal und die Vorberge abstreifen. Man muß da eine Streifungspause erwischen, was nicht schwer ist. Um zwei oder drei Uhr mitternacht überfallen wir … wie? … nein, nicht Yoghonoluk, so weit kommen wir gar nicht … wir überfallen mit unserer ganzen Übermacht mein Haus. Die Zahl der Schutzmannschaft dort wird natürlich vorher ausgeforscht werden. Außer den Offiziersdienern rechne ich allerhöchstens mit einem Zug Infanterie oder Saptiehs. Die Torwachen werden niedergemacht, Garten und Stallungen schnell besetzt. Alles Nähere gehört übrigens nicht hierher. Es ist meine und Tschausch Nurhans Sache. Mit Gottes Hilfe werden wir den General, den Kaimakam, den Müdir, den Jüs-Baschi und die anderen Offiziere gefangen nehmen. Wenn uns die volle Überrumplung glückt, so können wir binnen zwei Stunden die mächtigen Herrschaften sowie eine Menge Tragtiere und vielleicht sogar Mehl und Proviant in der Stadtmulde haben.«
    »Jetzt träumt Gabriel Bagradian«, krähte der Kirchensänger, Oskanians Sendling. Der sanfte Schatakhian aber sprang enthusiastisch auf:
    »Ich finde, daß Bagradian wieder einmal die einzige kühne Idee hat. Sie ist noch großartiger als alles Frühere. Wenn es wirklich gelingt, die Villa zu überrumpeln und einen General, einen Kaimakam, einen Jüs-Baschi gefangen zu nehmen, ja, dann lassen sich die Folgen gar nicht übersehn …«
    »Sie lassen sich genau übersehn, Lehrer«, schnitt ihm Aram Tomasian mit hochmütiger Verächtlichkeit das Wort ab. »Wenn wir einen der höchsten Offiziere und einen der höchsten Beamten gefangen nehmen, dann hört für die Türken der Spaß auf. Dann kommen sie mit Regimentern und Brigaden. Falls Gabriel Bagradian meint, das Militär werde mit ihm um das Leben der Geiseln schachern und Zugeständnisse machen, da irrt er sich gewaltig. Der Tod eines Generals und eines Kaimakams durch armenische Rebellen kommt ihnen sehr zustatten. Dann haben sie vor dem ganzen Ausland und Inland die stärkste Rechtfertigung für ihre Verschickungspolitik in der Hand. Solche Geschichten sind ihnen höchst willkommen. Was wißt ihr Leute von Yoghonoluk? Ich aber habe Zeitun erlebt.«
    »Nicht Gabriel Bagradian, sondern du irrst dich gewaltig, Pastor, trotz deinem Zeitun.« Schatakhian kochte auf. »Ich kenne Ittihad, ich kenne die Jungtürken, wenn ich auch nur in Yoghonoluk gelebt habe. Die halten zusammen. Einen der Ihrigen opfern die nicht auf. Unter keinen Umständen. Point d’honneur! Der schmähliche Tod eines Generals und eines Kaimakams wäre für

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