Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
Anschein nach waren sie durch die lebenstolle Wildheit derer, die man ihnen als Halb- und Ganzverhungerte geschildert hatte, aufs äußerste betreten. Und als dann gar ein Teil der im Gefelse postierten Zehnerschaften auf eigene Faust vorbrach, eine Türkenpatrouille zusammenschoß und ungehindert wieder zurückkehrte, da hatten die Regierungstruppen neuerdings den klaren Beweis dafür, daß es bei der verfluchten Rasse nicht mit rechten Dingen zuging.
    Um die Mittagsstunde besuchte Ter Haigasun die Kämpfer. Gabriel Bagradian bat ihn, er möge in ihrer Mitte ein Gebet sprechen, da die Zehnerschaften heute ja nicht bei dem großen Bittgottesdienst zugegen sein konnten. So geschah es auch. Gabriel meldete dem Priester ferner, daß die Anwesenheit dieser Männer beim Volksentscheid überflüssig sei, denn sie hätten durch Tschausch Nurhans Mund erklärt, immer und überall mit ihrem Führer gehn zu wollen. Ter Haigasun sah den von Tateifer glühenden Gabriel verwundert an. Noch vor wenigen Tagen hatte er geglaubt, diese Seele sei nicht rauh genug, um den Foltertod des Sohnes zu überwinden. Auf dem Rückweg in die Stadtmulde aber wußte Ter Haigasun genau, daß Bagradians Seele gar nichts überwunden hatte als sich selbst. Und das vielleicht nur für die wenigen Stunden dieser allerletzten Anspannung.
     
    Generalmajor Ali Risa Bey war einer der jüngsten Brigadegenerale der ottomanischen Armee, noch nicht vierzig alt. Er hatte sich schon in Libyen und im Balkankrieg als Frontoffizier ausgezeichnet und gehörte jetzt zum engsten Mitarbeiterstab Dschemals. Ali Risa war jedoch äußerlich und innerlich das gerade Gegenteil seines Chefs, des malerischen Diktators von Syrien. Er vertrat gewissermaßen den allermodernsten und westlichsten Kriegertypus, den es gab. Man mußte ihn nur sehen, wie er zur Stunde im Selamlik der Villa Bagradian auf und ab ging, während die Offiziersversammlung um ihn kleinlaut und erstorben seinen schlanken Schritten folgte. Der ganze Unterschied wurde klar, wenn man den jungen General etwa mit dem verwundeten Jüs-Baschi verglich, der, den Arm noch immer in der Schlinge, in vorschriftsmäßiger Haltung auf eine Anrede seines Vorgesetzten wartete. Der Major mit seinen zigarettengebräunten Fingern und den abgelebten Zügen hatte, an Ali Risa gemessen, etwas Trübes, um nicht zu sagen Schmutziges. Jetzt stieß der General unmutig die Fenster des Salons auf, um die dichten, von den Offizieren erzeugten Rauchwolken zu verjagen. Er rauchte nicht, er trank nicht, er liebte weder Weib noch Mann, die Sage ging, daß er sich seines schwachen Magens wegen ausschließlich von roher Ziegenmilch nähre, ein durchsichtiger Asket des Krieges. In diesem Augenblick trat ein Onbaschi ein und überreichte ihm einen Dienstzettel. Der General warf einen Blick auf die Meldung und zog seine dünnen blassen Lippen ein:
    »Wir haben im Norden durch einen Ausfall der Armenier Verluste gehabt … Ich werde den Kompagniekommandanten gründlichst zur Verantwortung ziehn … Die Herren hier mögen es sich alle zu Gemüte führen … Ich habe Seiner Exzellenz versprochen, daß bei der ganzen Aktion nicht ein einziger Mann auf unsrer Seite geopfert werden soll … Wir heben ein Lager von Verbrechern auf, alles andre wäre eine unabsehbare Schmach … Schändlich genug, daß es so weit gekommen ist.«
    Sein Blick suchte den Adjutanten:
    »Noch immer keine Nachricht über die beiden Batterien?«
    Der Adjutant verneinte kurz. Seit zwei Tagen schon erwartete man ungeduldig die Ankunft der Gebirgskanonen, die in Aleppo ausgeladen worden waren. Da dieser Transport aber nicht über Antakje, sondern über Beilan und das schwierige Gebirge ging, so verzögerte er sich endlos. Der General war daher gezwungen gewesen, den Hauptschlag von heute auf morgen zu verschieben. Jetzt blieb er vor einem der jüngeren Offiziere stehn: »Wieviel Kilometer Telephondraht sind bei den Kompagnien vorhanden?«
    Der Angeredete erbleichte und fing Unbestimmtes zu stammeln an. Ali Risa Bey horchte gar nicht hin:
    »Es ist mir gleichgültig! Ich mache Sie aber dafür verantwortlich, daß bis gegen Abend, genauer eine Stunde vor Sonnenuntergang, hier im Hause eine Telephonstation errichtet ist, die mit dem Berg in Verbindung steht, und zwar im Süden und Norden. Wie Sie das machen, ist Ihre Sache. Ich werde über die morgige Unternehmung des Jüs-Baschi telephonische Meldung verlangen. Jetzt können Sie gehn …« Der Unglückliche, der keine Ahnung

Weitere Kostenlose Bücher