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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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etwa hundert Mann stark, an Habaste und den Ruinen vorbei in die Orontesebene einbrechen. Da alles Militär im Bergtal und auf den Nordhöhen konzentriert war, so gab es unten wahrscheinlich nur ein paar Saptiehposten, die in der Nacht den Bergrand und die Orontesbrücke bei El Eskel bewachten. Mit einem gefährlichen Widerstand war kaum zu rechnen. Ob es zu einem Kampf kam oder nicht, die hundert würden ohne Zweifel die schmale Ebene schnell durchquert und bei Sonnenaufgang das Gebirge erreicht haben. Während der heimlichen Beratungen hatten ein paar ehrenhaftere Elemente die Frage gestellt, ob es nicht möglich sei, die Lagerführung von dem Abmarsch-Entschluß in Kenntnis zu setzen. Sie waren aber wegen dieser Frage fast verprügelt worden. Was wäre die Folge einer solchen schwachsinnigen Bekanntmachung? Bagradian und Tschausch Nurhan würden sie wahrscheinlich zum Teufel ziehen lassen, ihnen vorher aber durch die Nordzehnerschaften eilig die Gewehre abnehmen. Die Anständigkeit stand demnach hier, wie so oft auf dieser Welt, außerhalb des Menschenmöglichen. Im übrigen aber befanden sich die besseren Elemente in einer erschreckenden Minderzahl, während der radikale Flügel eine gewaltige Partei bildete. Dieser verbrecherische Flügel wollte sich aber nicht mit einem stillen Verschwinden begnügen. Und auch er hatte für sein Vorhaben vernünftige Gründe anzuführen. Da war vorerst die Geschichte mit der Munition. Von ihr hing Leben und Zukunft einer räubernden und wildernden Freischar ab. In diesem Sinne hatte schon bei jenem Auftritt an dem verbotenen Feuer der Langhaarige so kriecherisch frech von Bagradian Patronenmagazine gefordert. Mit der Munition ging Tschausch Nurhan äußerst sparsam um. Nur wenn ein Gefecht unmittelbar zu erwarten war, wurden die Verschläge in die Stellungen hinausgetragen und selbst dann noch verteilte ein Vertrauensmann der Führung sehr geizig die Magazine. Gegenwärtig besaßen die Deserteure kaum fünf Schuß für jedes Gewehr. Ein unmöglicher Zustand! In der Regierungsbaracke aber lagen die Verschläge hochgeschichtet und außerdem noch ganze Tröge mit Patronen, denn Nurhans Manufaktur hatte in ununterbrochener Arbeit nicht nur die ausgeschossenen Hülsen neu gefüllt, sondern auch neue Kugeln hergestellt. Die Deserteure sahen die unabweisliche Notwendigkeit vor sich, ihren Munitionsbedarf aus den allgemeinen Beständen zu ergänzen. Zu diesem Zwecke mußte der Regierungsbaracke ein entsprechender Besuch abgestattet werden, wann und wie, das schien noch nicht festzustehn. Dabei konnte man sich auch in der Stadtmulde ein wenig umsehen, ob nicht dieses oder jenes noch mitzunehmen wäre. Der Aufenthalt auf dem rauhen Dschebel el Akra erforderte gewisse Gebrauchsartikel, die das Volk des Damlajik, dessen Schicksal ja besiegelt war, fernerhin nicht nötig hatte. Und wenn man sich schon in der Stadtmulde umsah, so durfte man wohl auch einige unbeliebte Persönlichkeiten ins Auge fassen, Ter Haigasun zum Beispiel. Der Priester hatte aus seinem Haß gegen die Deserteure niemals ein Hehl gemacht und sie an den Gerichtstagen und bei jeder möglichen Gelegenheit die Härte des Lagergesetzes fühlen lassen. Die gesamte Südbastion war alles in allem zu fünf Fasttagen verdonnert worden. Und nicht genug damit. Ter Haigasun hatte sich nicht gescheut, den und jenen Deserteur im Notfall zu scharfer Bastonade zu verurteilen. Eine kleine Abrechnung konnte mithin nicht schaden. Aus all diesen Gründen floß mit dem Fluchtplan der zweite Plan eines Putsches zusammen, womit man die Sache nur ganz ungefähr bezeichnet. Wie weit Sarkis Kilikian an diesem verbrecherischen Vorhaben beteiligt war, das läßt sich nun und in alle Ewigkeit nicht mehr feststellen, ebensowenig wie sich seine aktive Teilnahme an dem Attentat gegen den Fürsten Galitzin wirklich feststellen ließ. Er lag noch immer auf dem Rücken und schien sich weder um Oskanian noch auch um die sauberen Andeutungen des Langhaarigen zu scheren. Hätte ein Sterblicher in sein Inneres schauen können, er hätte nichts andres gefunden als Ungeduld . Die Ungeduld des jagenden Wolkenhimmels über seinem Kopf. Hinter seiner erstorbenen Maske raste die Sehnsucht, auszubrechen, aus einer Gefangenschaft in die andre.
    Der Lehrer stand schon längst auf seinen kläglichen Beinen. Er wölbte die Hühnerbrust vor, als wolle er, der Selbstmordverherrlicher, beweisen, daß er vor keinem verwegenen Frevel zurückscheue. Seinen Mut aber hätte er

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