Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
hatte, wieviel Drahtspulen sich bei den Kompagnien befanden, und der eine unlösbare Aufgabe vor sich sah, stürzte verzweifelt hinaus. Der General aber rief jetzt ziemlich scharf:
    »Jüs-Baschi … Ich bitte sehr …«
    Der Verwundete riß sich zusammen. Die beiden Männer traten in den einsamen Vorraum. Ali Risa warf einen kalten flüchtigen Blick auf den verbundenen Arm des Majors:
    »Jüs-Baschi! Ich gebe Ihnen heute Gelegenheit, Ihre schwere Schlappe gutzumachen … Das wird aber nur dann der Fall sein, wenn Sie keine Verluste erleiden werden. Sie sind mir für jeden Verwundeten Rechenschaft schuldig. Ich bitte, sich danach zu richten … Ist also die Situation mit den Deserteuren vollkommen aufgeklärt?«
    Der Jüs-Baschi machte eine nachdrückliche Bewegung mit dem verletzten Arm, als weise er darauf hin, daß er mehr als seine Pflicht erfüllt habe:
    »Ich selbst, Herr General, bin gestern dicht vor den Seitenstellungen über Habaste gewesen. Sie waren ganz leer. Das Pack hält die Deckungen nicht mehr besetzt. Es war eine Stunde vor Sonnenuntergang …«
    »Gut! Und Ihre vier Kompagnien?«
    »Ich glaube, daß der unsichtbare Aufmarsch in der Nacht vollkommen gelungen ist. Nicht eine Laterne hat gebrannt. Die Truppen haben sich gestern während des ganzen Tages nicht aus Habaste gerührt. Jetzt liegen sie unter den Felsen in einer völlig versteckten Stellung. Auch die drei Maschinengewehre meiner Gruppe.«
    »Sie werden am Abend nachher selbst zum Telephon kommen, Jüs-Baschi. Wenn Sie die Höhe genommen haben, wünsche ich nicht, daß Sie weiter vorgehen …«
    Damit war die Unterredung beendet und Ali Risa wandte sich schon um.
    Die Stimme des Jüs-Baschi aber hielt ihn fest:
    »Ich bitte gehorsamst den Herrn General um ein Wort … Da ist folgende Sache noch … Diese Deserteure, ich habe in Erfahrung gebracht, daß es sich nicht nur um Armenier handelt … Im übrigen hat sich gestern ein früherer Armenier bei mir gemeldet, der zum wahren Glauben übergetreten ist, ein Advokat, Doktor Hekimian heißt er … Er ist bereit, mit diesen Leuten zu reden, daß sie die Stellung freiwillig räumen … Man wird vielleicht einige Zugeständnisse machen müssen, hat aber dafür die Sicherheit eines unblutigen Verlaufs …«
    Der General hatte ruhig zugehört. Jetzt unterbrach er den Major jäh:
    »Ausgeschlossen, Jüs-Baschi! Wir können uns doch nicht nachsagen lassen, daß wir mit diesen Teufelsarmeniern nur durch armenischen Verrat fertig werden konnten. Denken Sie an den Hohn der feindlichen Presse, der Seine Exzellenz und die ganze Vierte Armee treffen würde.«
    Schwere Schritte hallten auf den Steinfliesen des Hausflurs. Die große schlaffe Gestalt des Kaimakams trat, vom sommersprossigen Müdir gefolgt, in den Raum. Der Kaimakam legte nachlässig die Hand an den Fez:
    »Endlich, meine Herren! Ihre Batterien, General, werden in drei Stunden in Sanderan sein. Die Wirtschaft bei euch ist noch viel schlimmer als bei uns …«
    Das helle asketische Soldatengesicht Ali Risas brachte den dicken und von schlechten Säften geplagten Kaimakam in Wut. Er beschloß, das Militär zu ärgern. Während er schon wieder die Türklinke in der Hand hielt, um den Raum zu verlassen, drehte er sich noch einmal hoheitsvoll um:
    »Ich hoffe, daß mich unsre Wehrmacht nicht ein viertesmal enttäuschen wird.«
     
    Da Kristaphor und Missak nur in der Nacht den Dreizeltplatz zu bewachen hatten, waren die Frauen jetzt, um die vierte Nachmittagsstunde, allein. Witwe Schuschik, Haiks Mutter, bediente Juliette in ebenso rührender wie ungeschlachter Art. Diese Hilfe war auch notwendig, da Mairik Antaram, die wieder die Leitung des Lazarettschuppens übernommen hatte, sich nur vorübergehend einstellen konnte. Mit Iskuhi aber hatte es eine eigene Bewandtnis. Juliette war nun schon eine körperlich Genesende, wenn auch noch so abgezehrt und schwach, daß sie bei jedem Schrittchen zusammenknickte. Ihr Gesicht hatte eine bläulich-weiße Farbe oder Farblosigkeit angenommen, als wollte es sich nach der furchtbaren Krankheit doppelt von dem sonnverbrannten Braun ringsum unterscheiden. Sie verbrachte täglich ein oder zwei Stunden außer Bett. Dann saß sie vor ihrem Spiegeltischchen, den Kopf auf die Arme gelegt, regungslos. Manchmal kniete sie auch, wie sie es in der Verzweiflung früher schon getan, vor dem Bett und preßte das kleine spitzengemusterte Kopfkissen an ihr Gesicht wie eine letzte Heimat. Das bedenklichste Zeichen

Weitere Kostenlose Bücher