Die Vinetaner - Rusana
bestimmt wahnsinnige Sorgen machen.“
Auch wahr.
„Und solltest du deiner Tante erzählen, wohin wir fahren, müsste ich dein Gespräch leider unterbrechen. Dann würde sie sich auch wieder Sorgen machen und das möchtest du ja nicht. Außerdem würde ich dich in den Kofferraum sperren, falls sie mitbekommt, dass wir nach Usedom fahren. Es könnte ja sein, dass sie die Polizei informiert und die dürfen dich natürlich nicht bei mir finden.“
„Hexe!“, knurrte Christian.
„Vinetanerin“, säuselte Rusana amüsiert. Es machte ihr Spaß, ihn aufzuziehen.
Er warf einen Blick auf ihr Handy in der Ladeschale der Freisprecheinrichtung und runzelte die Stirn.
„Was?“
„Hast du eigentlich jemanden angerufen, nachdem du mich verschleppt hast, und verraten, wohin du mich bringst?“
„Nur meiner Freundin und die ist hundertprozentig vertrauenswürdig. Warum fragst du?“
„Na ja, wenn wir uns jetzt in einem Thriller befänden“ - er funkelte Rusana an, um ihr klar zu machen, dass er sich genauso fühlte - „würden unsere Feinde entweder die Position deines Fahrzeuges über GPS verfolgen oder uns über dein Handy orten. Natürlich könnten sie auch das Handy beziehungsweise das Telefon deiner Freundin abhören.“
„Mein Wagen hat kein GPS, aber das mit dem Handy ist durchaus denkbar“, erwiderte Rusana grübelnd. Sie griff zum Handy und schaltete es vorsichtshalber aus. „Es ist wohl besser, du rufst deine Tante erst mal nicht an. Tut mir leid.“
Christian hatte nicht vor, ihr zu widersprechen und blickte, wie schon des Öfteren, über seine Schulter, um Ausschau nach dem Passat seines Angreifers zu halten. Glücklicherweise war nichts Verdächtiges zu sehen, aber sicherer fühlte er sich deswegen nicht.
Sie verfielen in ein angenehmes Schweigen, da sich die Spannung zwischen ihnen aufgelöst hatte, und jeder hing seinen Gedanken nach. Irgendwann stellte Rusana das Radio leise an, woraufhin Songs aus den Achtzigern Christian einlullten. Er fühlte sich total ausgelaugt, was nach dem Stress der letzten Monate nicht verwunderlich war und schaffte es nur mit Mühe, seine Augen offen zu halten. Sein Körper wollte die unfreiwillige Ruhe nutzen und schlafen, doch sein Verstand fand das alles andere als angebracht. Immerhin wollte ihn jemand umbringen. Schließlich begann es zu regnen und das monotone Geräusch der Scheibenwischer, das Prasseln auf dem Autodach und die Musik sorgten letztendlich dafür, dass er wegdriftete.
Als Christian eingeschlafen war, warf Rusana ihm immer wieder kurze Blicke zu. Er sah schon gut aus, da gab es nichts dran zu rütteln. Da es mit dem Regen draußen merklich kühler geworden war, drehte sie die Heizung etwas höher, damit er nicht fror. Wie sollte sie ihn nur sicher nach Vineta bringen? War es besser, auf das U-Boot zu warten oder sollten sie den anderen Übergang nehmen? Mit dem Mörder im Nacken waren beide Wege gefährlich.
Am späten Nachmittag erreichten sie Wolgast. Rusana kannte hier ein älteres Ehepaar, das ein kleines Restaurant in einer Seitenstraße betrieb. Es waren Menschen, keine Vinetaner, weswegen Rusana nicht glaubte, dass sie in irgendeiner Weise an dem Komplott gegen Christian beteiligt waren. Außerdem war das Ehepaar ihr sehr zugetan und hatte sich bisher immer gefreut, wenn sie vorbeikam. Was allerdings nicht sehr oft vorkam, da Rusana die Gastwirte nur besuchte, wenn sie nach Vineta wollte - und das war selten geworden. Sie mied es, nach Hause zu gehen. Der seelische Schmerz, der sie dort erfasste, war einfach zu gewaltig, nahm ihr die Luft zum Atmen, erdrückte sie. Deswegen hatte sie es immer vorgezogen, trotz ihrer Hoffnungslosigkeit weiter nach Marcos Nachfahren zu suchen. Das war einfacher, als Marco Tag für Tag in dem Krankenzimmer liegen zu sehen, das Ruven neben seinem Schlafgemach hatte einrichten lassen. Marcos Körper wurde mit allem, was er zum Überleben benötigte, versorgt, und seine Muskeln und Sehnen durch technische Hilfsmittel beweglich gehalten. Dennoch sah er aus wie eine Leiche. Sein Anblick zerriss Rusana das Herz und auch Ruven bereitete ihr Kummer. Er war verzweifelt über seine Tat, machte sich die schwersten Vorwürfe, den Fluch ausgesprochen zu haben. Er zerbrach daran.
Rusana wischte sich die Tränen, die sich in ihre Augen geschlichen hatten, fort und warf einen Blick auf Christian, der noch immer schlief. Er war der Einzige, der das Unglück beenden konnte. Sie musste gut auf ihn aufpassen. Nicht auszudenken, wenn ihm
Weitere Kostenlose Bücher