Die Vinetaner - Rusana
Shirt entdeckte, und wandte sich wieder dem Angreifer zu. Dieser lag noch immer regungslos vor ihr auf dem Boden und beobachtete sie mit weit aufgerissenen Augen. Er war Vinetaner, was unschwer an seinen leicht ausgefahrenen Fangzähnen zu erkennen war. Er war sehr nervös und ganz offensichtlich kein eiskalter Killer, denn sonst wäre Christian jetzt tot. Kein Mensch entkam der Schnelligkeit eines Vinetaners. Ein Frösteln durchlief Rusanas Körper. Warum hatte er seinen Plan nicht in die Tat umgesetzt?
„Wie ist dein Name?“
„Alwin.“
„Und wen hast du mit ‚Sie’ gemeint?“
„Das würdet Ihr mir nicht glauben, Meju Rusana“, antwortete er bedrückt.
Rusana griff nach dem Messer und erlaubte Alwin durch eine knappe Handbewegung, sich zu erheben. Er richtete sich jedoch nicht ganz auf, sondern verharrte, ein Knie auf dem Boden, in hockender Haltung vor Rusana und schob die Kapuze seiner Jacke nach hinten. Schulterlange, dunkelblonde Haare kamen zum Vorschein.
„Du solltest es mir dennoch verraten, Alwin.“
Er sah sie nicht an, als er den Namen der Unbekannten ausspie:
„Otruna!“
„Bitte?“ Rusana glaubte, sich verhört zu haben.
„Ich sagte ja, Ihr würdet mir nicht glauben, Meju Rusana“, murmelte Alwin niedergeschlagen.
„Rusana?“ Otto trat zögernd neben sie. „Ich denke, ihr solltet nicht draußen diskutieren. Kommt lieber rein. Wäre ja möglich, dass hier noch mehr Möchtegernmörder rumlaufen.“
„Nein“, erklärte Alwin. „Im Moment bin ich der Einzige, von dem Marcos Nachkomme Gefahr droht. Aber ich habe nicht vor, ihm etwas anzutun. Ich kann es nicht. Dennoch wäre es sicherer für uns alle, wenn uns niemand zusammen reden sieht.“
„Na gut“, meinte Rusana. „Aber nur, wenn Alma und du wirklich nichts dagegen habt, Otto.“
„Natürlich nicht. Kommt rein!“
Otto deutete mit einer Hand an, ihm zu folgen und ging voraus. Alwin erhob sich nach einem fragenden Blick auf Rusana und folgte dem Gastwirt, ohne die geringsten Anzeichen, fliehen zu wollen. Den Schluss bildeten Christian und Rusana.
„Ist alles in Ordnung?, fragte sie besorgt.
„Nicht wirklich“, gab Christian zu. „Ich bin es nicht gewohnt, als Zielscheibe durch die Gegend zu rennen.“
Als Antwort legte sie tröstend ihre Hand auf seinen Unterarm. Fast hätte sie ihn verloren. Der Gedanke löste Übelkeit in ihr aus.
Ihre sanfte Berührung tat Christian gut. Ihre Hand fühlte sich warm und beruhigend an. Bevor sie ins Haus gingen, fragte er:
„Was bedeutet Meju Rusana?“
„Ins Deutsche übersetzt bedeutet es etwa: königliche Rusana.“
„Aha.“
„Du glaubst mir schon wieder nicht“, stellte sie gespielt entrüstet fest.
„Das stimmt, aber er hat vor dir gekniet. Ich gebe zu, dass das meinen Unglauben ein wenig ins Schwanken bringt.“
Sie folgten den anderen eine Treppe hinauf und Otto führte sie in ein gemütliches Esszimmer, eingerichtet mit hellen Buchenmöbeln und einem Tisch, der sechs Personen Platz bot.
„Hier könnt ihr euch ungestört unterhalten“, meinte er. „Alma und ich werden uns zurückziehen.“
„Nein Otto.“ Rusana legte ihm eine Hand auf den Rücken. „Ich möchte, dass ihr bleibt. Du und Alma, ihr wisst schon so lange, dass ich kein normaler Mensch bin, und habt mich dennoch akzeptiert. Einfach so. Ihr habt darauf verzichtet, mir Löcher in den Bauch zu fragen und jetzt bietet ihr uns auch noch den Schutz eures Hauses an. Ihr seid wahre Freunde und ich möchte euch nicht ausschließen.“
Ottos Gesicht lief vor Verlegenheit rot an, genauso wie das seiner Frau und ihre Augen glänzten vor Freude über Rusanas Vertrauen. Sie setzten sich und alle Blicke richteten sich auf Alwin, dem anzusehen war, wie unwohl er sich fühlte. Unsicher begann er zu erzählen:
„Wie ich schon sagte, Otruna zwingt mich, ich meine, wollte mich zwingen, ihn umzubringen.“ Sein Blick huschte zu Christian.
„Aber warum sollte sie so etwas tun? Warum möchte sie verhindern, dass der Fluch gebrochen wird?“
„Sie behauptet, dass ein großes Unglück das Königreich der Vinetaner heimsuchen wird, sobald Marco erwacht, Meju Rusana. Sie redet uns ein, ihr Handeln wäre nur zum Wohle des Volkes, aber ich glaube ihr nicht. Sie ist eine böse Hexe, getarnt als Samariterin. Sonst würde sie uns niemals erpressen und drohen, unsere Frauen und Kinder zu töten, sollten wir ihr nicht gehorchen. Nichtsdestotrotz haben einige von uns versucht, sich zu wehren und zum König vorzudringen, obwohl er in den
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