Die Vinetaner - Rusana
erwartungsvoll.
„Mithilfe meines gefiederten Freundes“, erklärte Egbert. Er stieß einen lang gezogenen Pfiff aus und aus einem Baum in der Nähe ertönte ein lautes: „Raog“. Gleich darauf schwang sich ein großer schwarzer Vogel in die Luft. Er erreichte eine beeindruckende Flügelspannweite von gut einhundertdreißig Zentimetern und ließ sich mit einem weiteren „raog“ auf dem Sattel des Pferdes nieder. Den schwarzen Hengst schien das nicht zu stören, denn er graste unbeeindruckt weiter.
„Das ist ein Kolkrabe“, entfuhr es Christian.
„Genau“, grinste Egbert. „Er heißt Naku. Ich habe ihn als Jungvogel verletzt aufgelesen und gesund gepflegt. Seit dem sind wir die besten Freunde. Er ist sehr intelligent.“
Naku legte seinen Kopf schief und musterte Chris neugierig. Schließlich stieß der Vogel ein Geräusch aus, das stark an ein Rülpsen erinnerte.“
Egbert grinste amüsiert.
„Er vermutet, dass sich in deinem Rucksack Essbares befindet, und möchte etwas davon haben.“
„Wir haben noch Dauerwurst. Mag er die?“
„Aber sicher. Raben sind Allesfresser.“
Chris nahm seinen Rucksack ab, ging in die Hocke und öffnete ihn.
„Raben sind doch auch Aasfresser, oder? Was ist, wenn Naku etwas von dem vergifteten Budara frisst?“
„Das Gift ist von unseren Wissenschaftlern so konzipiert worden, dass es rasend schnell tödlich wirkt, sobald es in den Blutkreislauf eines Tieres gerät. Danach zersetzt es sich jedoch sehr schnell und wird ungefährlich für die Aasfresser.“
Chris kramte die Dauerwurst hervor, und als er ein Stück davon abbrach, verließ Naku seinen Platz auf dem Pferderücken. Er landete zwei Meter vor Christian und legte erneut seinen Kopf schief.
„Frisst er aus der Hand?“
„Wenn er dich mag.“
Chris streckte seine Hand mit dem Stück Wurst aus und beobachtete gespannt den Raben. Das Tier faszinierte ihn. Nakus Blick war klar, voller Neugierde und seine Federn glänzten in der Sonne blauviolett. Christian konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als der Vogel näher hüpfte und mit seinem kräftigen Schnabel vorsichtig die Wurst von seiner Hand pickte. Naku fraß sie und gab abermals einen rülpsenden Laut von sich, um mehr zu erbetteln.
Egbert und Rusana lachten belustigt auf.
Christian brach mehrere Stücke von der Wurst ab und verfütterte eines davon mit der Hand an Naku, weil er das Gefühl, wie der Rabe es vertrauensvoll wegpickte, klasse fand. Den Rest legte er auf den Boden und erhob sich wieder.
„Dann lasst uns mal eine Nachricht verfassen“, meinte Egbert und rief nach seinem Hengst, der sich einige Schritte von ihnen entfernt hatte:
„Haschu! Komm her!“
Der Hengst hob seinen Kopf, stellte die Ohren auf und trottete zu Egbert.
„Du scheinst gut mit Tieren umgehen zu können“, stellte Christian fest.
„Das konnte er schon immer“, erklärte Rusana. „Manchmal glaube ich, dass selbst ein Regenwurm Samba für ihn tanzen würde.“
„Im Gegensatz zu den Frauen lieben mich die Tiere eben ausnahmslos“, meinte Egbert.
Christian und Rusana schmunzelten und ihre Blicke trafen sich, verschmolzen miteinander. In diesem Moment fühlten sie sich so stark zueinander hingezogen, dass es schmerzte, denn beide kämpften gegen ihre Gefühle an. Ruckartig brachen sie ihren Blickkontakt ab und stierten den Raben an, der mit einem kleinen Ast spielte.
Weder Christian noch Rusana bemerkten, dass ihr Verhalten Egbert nicht entgangen war und ein erleichtertes Grinsen über sein Gesicht huschte, während er einen Block sowie einen Stift aus einer der Satteltaschen holte.
Einige Minuten später rollte Egbert seine Nachricht sowie das Blatt mit den Namen der Gefolgsleute Otrunas, die Alwin für Rusana aufgeschrieben hatte, zusammen. Naku ließ sich die Botschaft an sein Bein binden und hörte anschließend aufmerksam zu, als Egbert ihm in die Augen blickte und sagte:
„Bring das zu Ruven ins Schloss.“ Langsam wiederholte er: „Ruven! Schloss!“
„Ruon, ruon“, krächzte der Rabe und wackelte aufgeregt mit seinem Kopf.
„Genau. Ruven!“
„Ruon“, krächzte Naku, schwang sich in die Luft und flog zielstrebig in die Richtung, in der die Stadt Vineta lag.
„Braver Junge“, murmelte Egbert und sah dem Raben hinterher, bis er verschwunden war. Danach wandte er sich an Rusana und Christian:
„Ich schlage vor, wir laufen noch gute fünf Stunden und schlagen dann das Nachtlager auf. Morgen legen wir den Rest des Weges zurück und warten bei der Salzsteppe auf
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