Die Violine des Teufels
Anordnung eine Hausdurchsuchung durch. Stattdessen fragte er nochmals nach dem Konzert, das für Rescaglio eine solche Bedeutung zu haben schien.
»Und Sie spielen als Solist, ohne das Orchester?«
An dieser Frage erkannte Rescaglio, dass der Inspector von Musik keine Ahnung hatte. Zwar war er von Anfang an nicht in der Defensive gewesen, doch nun entspannte er sich.
»Ich habe mich missverständlich ausgedrückt, Inspector. Wenn ich sage, ich bin Solocellist, dann meine ich das im Rahmen des Orchesters. Die Leiter der einzelnen Instrumentengruppen spielen manchmal kleine Soli im Orchesterpart, aber man vertraut uns niemals ein ganzes Konzert an. Nein, am Samstag wird uns der britische Virtuose Steven Isserlis die Stirn bieten.«
»Er wird Ihnen ›die Stirn bieten‹? Das klingt ja geradezu kriegerisch.«
»Für Lledó ist das die Einstellung, mit der wir da herangehen müssen. Für ihn ist jedes Konzert so etwas wie eine offene Feldschlacht, wenn auch eine künstlerische. Meine Sicht der Musik ist viel weniger kriegerisch, aber ich muss zugeben, zumindest aus etymologischer Sicht hat Lledó nicht ganz unrecht, denn das Wort ›Konzert‹ stammt vom lateinischen concertare, und das heißt ›streiten‹, ›kämpfen‹.«
Salvador hätte zu gern das Thema gewechselt und endlich mit der eigentlichen Befragung begonnen, aber seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass man manchmal die entscheidenden Informationen erhielt, indem man dafür sorgte, dass der Befragte sich entspannte, und dem Gespräch seinen natürlichen Verlauf ließ. Daher gab er dem Drachen noch etwas Leine. »Offen gesagt kann ich mir nicht vorstellen, worin der Krieg bestehen soll. Bieten Sie denn dem Publikum nicht einfach schöne Melodien dar?«
»So nimmt man es als Außenstehender wahr, doch unter der Oberfläche brodelt es gewaltig. Der erste Reibungspunkt ist die Wahl des Tempos, also die Geschwindigkeit, in der ein Stück gespielt wird. Der Solist kann ein Tempo vorgeben, das dem Dirigenten nicht angemessen erscheint, und wer gibt dann nach? Theoretisch haben der Solist und der Dirigent den gleichen musikalischen Rang. Selbst wenn bei den Proben ein Tempo vereinbart wird, kommt es vor, dass im Konzert einer der Kontrahenten versucht, von der Vereinbarung abzuweichen, und schneller spielt, um den anderen zu zwingen, ihm zu folgen, oder umgekehrt.«
»Und Sie glauben, dass es am Samstag zum Streit kommt?«, fragte Salvador, der sich das bevorstehende Konzert allmählich wie ein Fußballspiel vorstellte.
»Nein, das glaube ich nicht, denn Lledó dirigiert, und er achtet Isserlis viel zu sehr, als dass er bei ihm Starallüren herauskehren würde. Allerdings nennen einige Mitglieder des Orchesters unseren Dirigenten Chulini.«
»Chulini? Ist das ein Wortspiel?«
»Einer der größten Orchesterdirigenten aller Zeiten war Carlo Maria Giulini. Der Spitzname Chulini bedeutet, dass die Musiker denken, er hält sich zwar für einen großen Dirigenten, aber in Wirklichkeit ist er nur ein zweitklassiger Angeber.«
»Denken Sie das auch?«
»Lledó ist weniger ein Angeber als ein eitler Pfau, aber er ist kein schlechter Dirigent. Und Isserlis ist ein großer Cellist, auch wenn niemand Jacqueline du Prés Interpretation von Elgars Konzert übertreffen kann. Sie hat es überhaupt erst berühmt gemacht. Sie ist auch sehr jung gestorben, wie Ane, allerdings war ihr Ende weit schrecklicher, denn sie starb an einer langsamen, demütigenden und schmerzhaften Krankheit, für die es keine Heilung gibt: an multipler Sklerose.«
Rescaglio beugte sich über seinen Cellokasten und holte das Foto der rotblonden Frau heraus.
»Das ist Jackie du Pré.«
Salvador streckte die Hand nach dem Foto aus, weil er es genauer betrachten wollte, doch der Musiker zog seine Hand ein Stück zurück und gab ihm damit zu verstehen, dass er es nur ansehen sollte.
»Entschuldigen Sie, es war sehr schwer, dieses Foto zu bekommen.«
Als er sah, dass der Polizist ihm sein Verhalten nicht verübelte, hielt er ihm das Foto dicht vor die Augen, und Salvador konnte es im Detail betrachten. Sofort fiel ihm die sexuell ungeheuer aufgeladene Ausstrahlung der Frau auf. Jackie du Pré saß mit dem Cello zwischen den weit auseinandergestellten Beinen da, als würde sie sich mit Leib und Seele einem hitzigen und unersättlichen jungen Liebhaber hingeben. Da sie zudem einen geblümten Minirock trug, der die Hippie-Ästhetik der siebziger Jahre heraufbeschwor, sah der Betrachter einen mehr
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