Die Vipern von Montesecco
dachte Vannoni und spürte, wie sich die Trauer in seinem Inneren langsam verwandelte, heißer wurde, in einem Gedanken aufglühte, den er sofort zum Teufel wünschte, der trotzdem in seinem Hirn Feuer fing, in beißender Wut aufloderte und herausflammte: »War er es? Hat er dich geschwängert?«
»Weich nicht aus!« sagte Catia.
»War es Giorgio Lucarelli?«
»Das geht dich nichts an.«
»Es geht mich nichts an, wenn sich meine Tochter mit diesem Schwein von Lucarelli im Bett gewälzt hat? Das geht mich nichts an? Weißt du, was du für mich bist? Du bist ...« Vannoni brach ab. Es konnte nicht sein. Es durfte einfach nicht sein. Nicht mit Giorgio Lucarelli. Catia war Vannonis Tochter. Sie wußte, was geschehen war. Und wenn sie sich mit jedem im Dorf eingelassen hätte, mit Lucarelli nicht.
Catia setzte sich auf die Fliesen, mit dem Rücken gegen die Kommode. Der Mond war schon untergegangen, aber durch die offene Tür verirrten sich von irgendwoher Reste verblaßten Lichts ins Zimmer und malten graue Konturen ins Schwarz. Catia hatte den Kopf zurückgelegt.
»Es tut mir leid«, sagte Vannoni, »es ist nur, daß ich ... Du bist schwanger, und ich will nicht, daß sich die Leute auch über dich das Maul zerreißen.«
»Die Leute?« Catia lachte auf. »Soll ich dir sagen, was mich die Leute können?«
»Catia!«
»Die Leute!« Catia sprang auf, machte zwei Schritte zur Tür und brüllte aus Leibeskräften in die Nacht hinaus: »He, Leute! Wollt ihr euch das Maul zerreißen? Ich bin schwanger, ich bin schwanger, ich bin schwanger!«
Wer nicht eh schon wach gewesen war, wurde durch Catias Geschrei geweckt. Die kleine Paty Garzone schlüpfte zu den Eltern ins Bett. Lidia Marcantoni bekreuzigte sich, und ein paar Häuser weiter murmelte ihre Schwester Costanza vor sich hin: »Schwanger. Das habe ich mir doch gleich gedacht.«
Angelo Sgreccia sprang aus dem Bett, zog schnell eine Hose über und lief zu Vannoni.
»Komm, Catia!« sagte er, so sanft es ihm möglich war. »Komm nach Hause!«
Er legte den Arm um ihre Schulter und führte sie nach draußen. In der Tür wandte er sich um und sagte zu Vannoni: »Hast du ihr nicht schon genug angetan?«
Elena Sgreccia erwartete sie am Küchentisch und sagte, daß das nicht so weitergehen könne. Als Catia wortlos in ihr Zimmer verschwand, begann sie in der Küche herumzuräumen. Angelo Sgreccia legte sich ins Bett und starrte ins Dunkel.
Auch in den anderen Häusern war an ruhigen Schlaf kaum zu denken. Sabrina Lucarelli beweinte fast die ganze Nacht hindurch ihren Vater, ohne sich von ihrer Mutter oder den Großeltern trösten zu lassen. Sie schien erst jetzt begriffen zu haben, daß er tot war. Marisa Curzio träumte von Mördern, die hinter ihr her waren, und schreckte dreimal schweißgebadet hoch, was vielleicht auch daran lag,daß sie vor dem Zubettgehen alle Fenster und Türen verrammelt hatte. In ihrem Häuschen am Ortsrand legte Costanza Marcantoni Tarotkarten. Obwohl sie wußte, daß es nicht statthaft war, das Schicksal eines ganzen Dorfes zu erfragen, bestätigten ihr die Karten, was sie schon vermutet hatte: Montesecco standen schlimme Zeiten bevor.
Es war, als wäre der Sprovengolo nachts durch Montesecco geschlichen und hätte es sich auf einem Magen nach dem anderen bequem gemacht. Daß es trotzdem keinem gelang, ihn zu fassen, war wohl ein Glück, denn diese Nacht wären seine Haare sicher nicht aus Gold gewesen. Eher schon aus schwarzen Gedanken und zuckenden Vipern.
Nur Paolo Garzone schlief bis halb acht Uhr durch. Dann stand er auf und rasierte sich sorgfältig. Er kämmte sich. Er bürstete die Fingernägel. Er zog das blaue Hemd mit den weißen Längsstreifen an, das ihn schlanker wirken ließ. Er nahm sich vor, irgendwann einmal etwas wirklich Elegantes zu kaufen. So, wie man es heute trug.
Er sah auf die Uhr und fand, daß es noch etwas zu früh sei. Aber in der Werkstatt wollte er auch nichts anfangen, wenn er die Finger schon mal sauber hatte. Paolo füllte Wasser und Espressopulver in die Caffettiera, stellte sie auf den Gasherd und drehte die kleinste Flamme auf. Einen Kaffee konnte er vertragen. Essen würde er nichts. Er frühstückte nie viel, und an diesem Morgen würde er gar nichts herunterbringen.
Der Kaffee war hochgestiegen und blubberte im oberen Teil der Caffettiera. Paolo drehte das Gas ab. Er trank den Espresso schwarz, ohne Zucker. Die leere Tasse stellte er in die Spüle. Dann verließ er das Haus. Er schlenderte so
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