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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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langsam wie möglich zur Piazza hinab, doch für die paar Meter konnte man nun mal nicht lange brauchen. Er klopfte. Antonietta machte selbst auf. Sie trug Schwarz. Die dunklen Haare hatte sie streng zurückgebunden. Ihre Lippen waren blaß und zitterten leicht. Ihre Haut war bleicher als sonst, wirkte zarter. Milch und Honig.
    »Ich wollte mich entschuldigen«, sagte Paolo. Die ersten Sätze hatte er sich zurechtgelegt. Dann würde er weitersehen.
    »Wofür?« fragte Antonietta. Ihre schwarzen Augen waren wie Brunnenschächte, die sich im Nichts verloren, doch ganz tief glaubte Paolo verhaltene Funken glimmen zu sehen. Antonietta war immer eine schöne Frau gewesen, doch jetzt sah sie schöner denn je aus. Paolo fragte sich, ob es ungehörig war, das zu denken.
    »Darf ich reinkommen?«
    Antonietta zögerte. »Ich weiß nicht. Assunta geht es gar nicht gut, und die Mädchen haben die ganze Nacht ...«
    »Klar«, sagte Paolo, »kein Problem.«
    Er hätte nicht fragen sollen. Er wollte nicht aufdringlich wirken.
    »Wofür wolltest du dich entschuldigen?« fragte Antonietta.
    »Daß ich Vannoni gestern abend nicht sofort das Maul gestopft habe.«
    Täuschte er sich, oder war da der Schatten eines Lächelns in Antoniettas Gesicht?
    »So darf er nicht reden«, sagte Paolo. »Nicht vor dir.«
    Er sah nach unten. Die Schuhe hätte er putzen sollen. Seine Füße wären davon allerdings auch nicht zierlicher geworden. Er war nun mal ein Riesenbaby. Und ein einfacher Handwerker. Ein Mann von Welt würde er nie werden. Er atmete tief durch. Er sollte jetzt etwas Nettes sagen. Ein paar Worte, die zeigten, daß sie immer auf ihn zählen konnte. Er sagte: »Ich bringe Vannoni um, Antonietta. Du brauchst es nur zu sagen.«
    Costanza Marcantoni trippelte die Landstraße entlang, die auf dem Kamm nach Westen führte. Sie trug einen geflochtenen Korb mit sich. Bei der Hitze blühte nicht mehr viel, doch ein paar Kräuter fanden sich immer. Die wollte sie sammeln, wenn sie schon so weit gehen mußte.
    »Ein feines Kräutersüppchen, ein feines Kräutersüppchen«, singsangte Costanza im Takt ihrer Schritte. Die Morgenluft duftete nach Wacholder und Rosmarin. Costanza bekreuzigte sich, als sie das Wegkreuz am Straßenrand passierte.
    Sie war über eine Stunde unterwegs, als sie an der Abzweigung anlangte, die zum verfallenen Hof der Angiolinis führte. An den sandigen Stellen des Wegs waren Reifenspuren zu erkennen. Bald näherte sich der Weg dem Waldrand auf die Entfernung, die Paolo Garzone angegeben hatte. Hier irgendwo mußte er Giorgios Leiche gefunden haben.
    »Jetzt Augen auf!« sagte sich Costanza.
    »Noch vor der Brücke«, murmelte sie. Es waren nur knapp hundert Meter, die in Frage kamen. Costanza ging die Strecke dreimal ab. Wenn es etwas zu finden gegeben hätte, dann hätte sie es gefunden. Aber sie fand nichts. Natürlich war es denkbar, daß Giorgio die Viper nicht erschlagen hatte, doch das glaubte Costanza nicht. Wenn einer wie Giorgio gebissen wurde, dann kam die Schlange nicht lebend davon. Natürlich war es auch denkbar, daß sich die Krähen an der toten Schlange gütlich getan hatten, doch das glaubte Costanza ebenfalls nicht. Zumindest zerhackte Reste müßten sich noch finden lassen.
    »Nein, nein.« Costanza schüttelte den Kopf. »Es war nicht hier. Er ist anderswo gebissen worden.«
    Neben der Brücke kletterte sie die Böschung hinab, zog Schuhe und Strümpfe aus und kühlte die Füße im Wasser des Bachs.
    »Aber wo?« fragte sie sich. Sie rastete eine halbe Stunde und machte sich dann grummelnd auf den Weg. Sie ließ sich Zeit, sammelte Salbei, Hühneraugenkraut und Hernie, die gut gegen Leistenbrüche und Bandscheibenbeschwerden wirkte, wenn man sie kleinhackte, mit wenig Wasser zu einem Brei verkochte und auf die betreffende Stelle auftrug.
    Costanza wußte, daß manch einer im Dorf sie hinter vorgehaltener Hand als Hexe bezeichnete. Das machte ihr nichts aus. Sie betrachtete es eher als Anerkennung, denn schon ihre Großmutter war so genannt worden, und sie war die Frau gewesen, die das Dorf zusammengehalten hatte. Von ihr hatte Costanza gelernt, was zu lernen war, und das war nicht wenig gewesen. Man mochte sich über ihre Mittelchen lustig machen, doch wenn die Tabletten des Arztes nicht anschlugen, wenn sich ein Heilungsprozeß gar zu lang hinzog, dann schlichen sie doch alle zu ihr und baten um Hilfe. Beim Kartenlegen war es ebenso. Dafür, daß angeblich niemand an den Humbug glaubte, hatte sie

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