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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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die Nudelmaschine. Marta Garzone kontrollierte die Bestände ihrer Eistruhe, bevor sie telefonisch die neue Bestellung durchgab. Paolo Garzone schrieb Rechnungen für die Installationsarbeiten, die er während der letzten beiden Wochen in Pergola und Bellisio durchgeführt hatte. Angelo Sgreccias Mutter Fiorella stickte. Lidia Marcantoni putzte die Messingkerzenständer in der Kirche, während ihre Schwester Costanza selbstgesammelte Knospen des Besenginsters wie Kapern einlegte.
    Alle machten sich an die Arbeit, und auch wenn es niemandem ganz gelang, die dumpfen Schatten loszuwerden, so wich doch allmählich das Gefühl der Lähmung, das so übermächtig erschienen war. Es war möglich, etwas zu tun, und sei es nur, Blumen zu gießen, Salat zu ernten oder den Abfall zum Container zu tragen. Der immer gleiche Alltag, über den man so oft jammerte, half über das Schlimmste hinweg, er erweckte neue Kraft, neuen Willen, sich nicht widerstandslos allem auszuliefern, was auf Montesecco herabprasselte. Und mehr noch, er zeigte den Weg, wie man Widerstand leisten konnte: Man mußte einfach mit beiden Händen zupacken, jeder so, wie er konnte, man mußte langsam und geduldig abarbeiten, was angefallen war. Immer eins nach dem anderen.
    »Du reißt ja auch nicht zehn Kalenderblätter auf einmal ab, nur weil es dir zu eintönig ist, jeden Morgen die gleiche Handbewegung zu machen«, sagte Gianmaria Curzio.
    »Nein«, sagte Benito Sgreccia. Er stützte sich auf seinen Spazierstock.
    »Und du stehst nicht stundenlang vor dem Kalender und grübelst, warum gerade heute der 19. ist«, sagte Curzio.
    »Keinesfalls«, sagte Benito Sgreccia.
    Wie jeden Tag nach dem Mittagessen hatten die beiden Alten unter dem Vorwand, sich die Beine vertreten zu müssen, das Dorf verlassen und sich an der gemauerten Bank unter dem Holzkreuz getroffen. Hinter dem Stamm der Aleppo-Kiefer gleich neben dem Kreuz hatten sie zwei Gläser und die Flasche Grappa deponiert, von der sie ein Schlückchen zur Verdauung des wie immer viel zu schweren Essens benötigten. Davon zumindest waren die beiden überzeugt, ganz im Gegensatz zu den beiden Frauen, die ihnen zu Hause den Schnaps verleideten. Marisa Curzio berief sich bei ihrem Verbot auf die Leberwerte ihres Vaters, die irgendwelchen Ärzten nicht gefallen hatten, obwohl Gianmaria sich so in Form fühlte wie seit seiner Partisanenzeit 1944/45 nicht mehr. Benito Sgreccia floh dagegen vor der unausweichlich aufkommenden Diskussion mit seiner Frau Fiorella, ob der Genuß eines Gläschens Grappa schon als Sauferei zu bezeichnen wäre.
    Benito Sgreccia schenkte ein, sie hoben die Gläser.
    »Salute«, sagte Curzio.
    »Cincin«, sagte der alte Sgreccia. Sie kippten den Schnaps.
    »Gar kein Kalenderblatt abreißen, alle Kalenderblätter auf einmal abreißen, beides würde kein vernünftiger Mensch tun«, sagte Curzio. »Aber sobald es ein wenig komplizierter wird, verhalten sich die meisten genau so. Die einen haben keine Geduld, die anderen bringen vor lauter Gedanken gar nichts zustande. Nein, nein, man muß erst einen kleinen Schritt tun, und dann noch einen, und dann wieder einen, und irgendwann ist man angekommen.«
    »Meine Rede«, sagte Benito Sgreccia. Er schraubte die Grappaflasche zu und verstaute sie hinter der Bank.
    »Manche Wege sind steil und beschwerlich, andere dauern vielleicht länger, führen aber bequemer zum Ziel. Jeder geht den Weg, der ihm am besten liegt«, sagte Curzio.
    »Hm«, sagte der alte Sgreccia.
    »Das ist bloß ein Bild, Benito, verstehst du? Was ich meine, ist, daß wir den Vorteil ausnützen sollten, den wir haben.«
    Benito Sgreccia überlegte. Dann fragte er: »Welchen Vorteil haben wir denn?«
    »Wir haben Zeit. Wir haben genug Zeit, um jeden im Dorf zu fragen, was er an dem Tag gemacht hat, als Giorgio Lucarelli starb.«
    »Jeden im Dorf?«
    »Einen nach dem anderen, Männer und Frauen, Kinder und Greise. Wir schreiben eine Liste, und dann überprüfen wir, ob es stimmt, was sie uns erzählt haben.«
    »Schritt für Schritt«, sagte Benito Sgreccia.
    »Genau«, sagte Gianmaria Curzio.
    Sie saßen eine Weile schweigend nebeneinander. Schließlich hatten sie Zeit. Curzio streckte die Beine von sich und blickte übers Land. Sgreccia lehnte vornübergebeugt auf seinem Spazierstock. Die Hände hatte er über dem Knauf verschränkt. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, als sei er im Begriff einzudösen. Gegenüber zogen sich die Linien des Weinbergs der Fattoria

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