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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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und sperrte die Kirchentür auf. Am Altar standen frische Blumen, und das Lesepult war ein wenig zur Seite gerückt worden, um Platz für einen Sarg zu schaffen, der nun doch nicht hierhergebracht werden würde. Zumindest nicht jetzt. Lidia Marcantoni schlug mit dem Daumen ein paar schnelle Kreuzzeichen über Stirn und Brust. Sie zog den Pfarrer in die hinterste Kirchenbank auf der Frauenseite, stützte sich auf der Rückenlehne vor ihnen ab, kniete nieder und lud den Pfarrer ein, es ihr gleichzutun.
    »Nun, Hochwürden?« fragte sie.
    »Na ja«, sagte der Pfarrer, »es ist eine Holzbank, aber ehrlich gesagt ...«
    »Sie ist hart wie Stein!« sagte Lidia. »Sie ist uneben und drückt an den Knien. Sie ist am Rand abgeschlagen, so daß sich Fiorella Sgreccia vor ein paar Wochen einen Splitter eingezogen und nur dank Gottes Erbarmen keine Blutvergiftung eingefangen hat. Außerdem ist dieses lebensgefährliche Brett viel zu tief angebracht. Man kommt überhaupt nicht mehr hoch.«
    Der Pfarrer stand auf.
    »Nicht jeder ist so sportlich wie Sie, Hochwürden«, sagte Lidia. Ächzend erhob sie sich und begann aufzuzählen, wer im Dorf unter Rheuma und Ischias litt. Der Pfarrer folgte der immer ausführlicher werdenden Erläuterung der gesundheitlichen Probleme älterer Menschen mit schwindender Langmut. Obwohl Lidia ihr Bestes gab, konnte sie den Pfarrer nicht mehr in der Kirche halten. Sie fragte sich, wo Carlo Lucarelli blieb. So verständlich sein Schmerz und seine Verbitterung waren, ging es doch nicht an, daß er mit dem Motorrad durch die Gegend fuhr, während der Pfarrer hier im Dorf auf die Beerdigung seines toten Sohnes drängte.
    Auf dem Weg zur Piazza hinab hörten Lidia und derPfarrer, wie sich Motorengeräusch vom Ortseingang näherte, doch nicht Carlo fuhr vor, sondern ein Wagen der Polizia Stradale. Die beiden Polizisten stiegen aus und fragten nach dem Haus der Lucarellis. Lidia wies auf die Eingangstür, und einer der Polizisten klopfte. Sabrina öffnete. Der Polizist starrte das Mädchen an, das mit verweinten Augen und verkniffenem Mund in der Tür stand.
    Der andere Polizist räusperte sich und sagte: »Ist jemand zu Hause?«
    »Außer dir?« fragte der erste.
    »Deine Mutter zum Beispiel?« fragte der zweite.
    Sabrina nickte wortlos und verschwand im Haus. Kurz darauf erschien Antonietta. Sie war ganz in Schwarz gekleidet.
    »Ja?« fragte sie.
    »Es ist ...«, sagte der eine Polizist.
    »Es ist wegen Herrn Lucarelli«, sagte der andere.
    »Ja«, sagte Antonietta. Ihre Hand tastete nach dem Türrahmen. Am Ringfinger steckte der goldene Ehering. Antoniettas Stimme klang belegt, als sie fragte: »Haben Sie über die Todesursache meines Mannes etwas herausgefunden?«
    »Sie wissen Bescheid?« fragte der erste Polizist.
    »Unser aufrichtiges Beileid!« sagte der zweite.
    »Danke«, sagte Antonietta. Sie sah von einem zum anderen.
    »Sie können uns glauben, daß es auch für uns eine traurige Pflicht ist ...«
    »Es war Mord, nicht?« sagte Antonietta. Ihre Lippen zitterten.
    Die beiden Polizisten warfen sich einen kurzen Blick zu. Dann fragte der eine behutsam: »Geht es Ihnen gut, Signora? Wollen Sie sich vielleicht irgendwo setzen?«
    »Haben Sie eine Ahnung, wer es getan hat?« fragte Antonietta mühsam beherrscht.
    »Beruhigen Sie sich!« sagte der erste Polizist.
    »Es war ein Unfall«, sagte der zweite.
    »Nichts deutet auf Fremdeinwirkung hin«, sagte der erste.
    »Und wieso ist er dann Stunden um Stunden da draußen geblieben, ohne Hilfe zu holen?« Man sah Antonietta an, daß sie nicht wußte, was die beiden eigentlich von ihr wollten. Wieso sie gekommen waren, wenn sie keine neuen Erkenntnisse hatten. Was sie selbst verbrochen hatte, um so gequält zu werden.
    »Nein, nein, er muß sofort tot gewesen sein«, sagte der erste Polizist.
    »Er ist mit dem Kopf gegen eine Steineiche geprallt«, sagte der zweite.
    »Ohne Helm.«
    »Er ist in einer Linkskurve zwischen Mezzanotte und Pergola von der Straße abgekommen.«
    »Wahrscheinlich wegen überhöhter Geschwindigkeit.«
    »Was?« fragte Antonietta.
    Der erste Polizist sagte: »Signora, hören Sie mir bitte genau zu: Ihr Mann Carlo Lucarelli ist bei einem Unfall mit seinem Motorrad ums Leben gekommen.«
    »Aber Carlo ist doch ...« Antonietta verstummte. Sie starrte den Polizisten ungläubig an. Wenn es wahr wäre, müßte dann nicht die Erde beben, so daß kein Stein auf dem anderen bliebe? Würde dann nicht die Sonne vom Himmel fallen und die

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