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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Trümmer auflodern lassen? Müßte dann nicht der Haß Gott vom Thron stoßen und sich höhnisch lachend darauf niederlassen?
    »Signora?« fragte der erste Polizist.
    »Das ist nicht wahr.« Antonietta schüttelte den Kopf. »Das kann nicht wahr sein. Sagen Sie, daß es nicht stimmt!«
    »Es tut uns leid«, sagte der Polizist.
    Antoniettas Blick irrte über das Pflaster der Piazza. Ein paar Meter weiter hing eine ausgefranste Todesanzeigean der Anschlagtafel der Gemeinde. Sie war mit roten Buchstaben besprüht, die den Tod eines Menschen bejubelten und den eines zweiten herbeigeführt hatten. Wortlos schlug Antonietta die Tür zu und schloß sich im Dunkel ihres Hauses ein.
    »Signora!« Der zweite Polizist klopfte zaghaft.
    »Lassen Sie sie!« sagte Lidia Marcantoni. Sie berichtete den Polizisten, daß mit Carlo der Vater des vor kurzem umgekommenen Giorgio Lucarelli verunglückt war. »Und ausgerechnet am Tag der geplanten Beerdigung!«
    Die beiden Polizisten hatten es so eilig wegzukommen, als befürchteten sie, das Unglück dieser Familie könne sie anstecken. Dennoch wußte Minuten später ganz Montesecco von Carlo Lucarellis Unfalltod.
    Man schwieg, reagierte wie betäubt. Die professionellen Trostfloskeln, zu denen der Pfarrer in seiner Hilflosigkeit griff, bewirkten nur, daß sich die allgemeine Stimmung gegen ihn wandte. Er hatte hier sowieso nichts mehr verloren. Natürlich konnte man Giorgio nicht in der geplanten Weise beerdigen, wenn sein Vater, statt hinter dem Sarg herzugehen, gerade selbst ins Leichenschauhaus transportiert wurde. Das war auch dem Pfarrer klar, doch da er nun mal in Montesecco war, bot er sich an, einen Gottesdienst zu halten oder den Hinterbliebenen im Gespräch Trost zu spenden. Die Lucarellis ließen ausrichten, daß sie sich zu beidem nicht in der Lage fühlten, und so fuhr der Pfarrer wieder ab, nicht ohne Lidia Marcantoni beauftragt zu haben, eine gemeinsame Totenmesse und eine Doppelbestattung der beiden Lucarellis anzuregen.
    Daß er damit nur die diesmal verlorene Zeit hereinholen wolle, mochte eine aus tiefsitzendem Antiklerikalismus gespeiste Unterstellung Franco Marcantonis sein, denn der Pfarrer konnte ja schließlich nicht wissen, was das ganze Dorf als Vermächtnis des alten Lucarelli anerkannte: Bevor nicht geklärt war, wer die Todesanzeige verunstaltet und vielleicht sogar Giorgios Tod mit verursacht hatte,würde keine Beerdigung stattfinden. Weder die von Giorgio noch die von Carlo.
    »Es war Carlos letzter Wunsch«, sagte sogar Gianmaria Curzio, der mit Carlo seit einem Streit vor vielen Jahren nicht mehr gesprochen hatte, und alle stimmten zu, obwohl sie sich bewußt waren, daß es sich eher um eine schreckliche Verwünschung als um einen Wunsch gehandelt hatte. Vielleicht lag dem das Bedürfnis zugrunde, Carlos letzte Worte im nachhinein abzumildern und so seinen Unfalltod nicht als postwendende Strafe des Schicksals für den ungeheuerlichen Racheschwur verstehen zu müssen, zu dem sich der Alte verstiegen hatte. Nein, schon ein Verkehrsunglück war schlimm genug, man wollte nicht auch noch mit einem Gott zu rechnen haben, der Tag und Nacht auf Montesecco herabsah, jede Äußerung abwog und zürnend eingriff, sobald ihm etwas mißfiel.
    Der Himmel war stahlblau. Wie an den Tagen zuvor stach die Sonne zur Mittagsstunde herab und ließ die Mauern erglühen, doch der Schatten des Todes hatte sich zwiefach über das Dorf gelegt und in jeder Ritze eingenistet. Am stärksten zu spüren war er im verdunkelten Wohnzimmer der Lucarellis, wo Giorgios Leiche wächsern im offenen Sarg lag, und von da drang er durch Mauern und Wände, fiel über alles und jeden her, erschwerte das Atmen und vernebelte die Augen. Wie eine Seuche hatte er sich ausgebreitet und verlangte nach einem wundersamen Heilmittel, das jedoch niemand zu kennen schien.
    Tod und Schicksal, maßloser Haß, Viperngift und versteckter Mord, Rachegelübde und Motorradunfälle, ein strafender Gott, zwei Leichen, die man nicht beerdigen durfte – es war zuviel. Wer sollte auch nur versuchen, all das zu begreifen? Wer konnte damit schon umgehen? In Montesecco hatte man genug damit zu tun, den Alltag zu bewältigen, man war es nicht gewohnt, schwarze Gedankenstunden- und tagelang hin und her zu wälzen. Es würde sowieso zu nichts führen.
    Und so begann, ohne daß man sich darüber abgesprochen hätte, einer nach dem anderen, seine gewohnten Tätigkeiten wiederaufzunehmen. Milena Angiolini füllte Pastateig in

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