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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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»Ich verbiete dir, mit Sonia zu sprechen. Oder mit Sabrina.«
    »Was geht dich das an?«
    »Vielleicht hast du ja Giorgio wirklich nicht umgebracht«, sagte Paolo, »aber solange man dir nicht hundertprozentig trauen kann, bleibst du von der Familie weg. Antonietta hat es schwer genug.«
    »Und sie hat verboten, daß ich mit den Kindern rede?«
    »Nein.« Paolo schüttelte den Kopf. »Antonietta ist eine wunderbare Frau. Dazu ist sie viel zu rücksichtsvoll. Aber ich verbiete dir das. Du hältst gefälligst Abstand!«
    »Sonst passiert was?« fragte Vannoni.
    Paolo grinste und bohrte den Finger in Vannonis Brust. »Laß dich überraschen!«
    Vannoni hob den linken Arm und wischte Paolos Hand zur Seite. Ein paar Momente lang starrten sie sich in die Augen, dann drehte sich Paolo wortlos um und stapfte davon. Er verschwand in der Tür der Lucarellis.
    Vannoni ging nach Hause. Er schnitt den Rest der Wildschweinsalami auf, die ihm Elena vor drei Tagen vorbeigebracht hatte. Das Weißbrot war außen steinhart, doch derKern der Scheiben war noch eßbar. Vannoni füllte ein Glas mit Leitungswasser. Er trank gierig und füllte nach.
    Während des Karnevals also! Catia hatte gefeiert, hatte vielleicht zuviel getrunken. Giorgio Lucarelli hatte zumindest eine prächtige Gelegenheit gehabt. Ausgerechnet mit Giorgio! Das erklärte natürlich, wieso Catia sich so hartnäckig weigerte, mit dem Namen herauszurücken. Und warum sie ihn mitten in der Nacht weckte, nur um ihn zu fragen, ob er Giorgio umgebracht hatte. Es paßte alles zusammen.
    Vannoni kaute an der Salami. Er wischte die Brotkrumen mit dem Unterarm vom Tisch. Nein, er hatte nicht den Hauch eines Beweises. Er rührte sich nur ein Gebräu von Unterstellungen und gewagten Schlußfolgerungen zusammen. So, als wünsche er geradezu, daß sich die schlimmste aller Möglichkeiten bewahrheitete. Als wolle er sich suhlen in dem Gefühl, von jedermann immerzu betrogen und verraten zu werden.
    Er hatte fünfzehn Jahre Zeit gehabt, mit jener Nacht klarzukommen. Er hatte es nicht geschafft. Pech für die, die jetzt darunter zu leiden hatten! Aber er konnte nicht anders. Er stand auf und stellte das leere Wasserglas in die Spüle. Es mußte Beweise geben. Und er würde sie finden.
    Die hölzernen Beine des Liegestuhls ratterten über das Pflaster, als Benito Sgreccia ihn aus dem Schein der Straßenlaterne zog. Er stellte das Transistorradio in Reichweite daneben ab. Den gebogenen Griff seines Spazierstocks verankerte er in der Armlehne des Liegestuhls. Dann plazierte er sich vor der Sitzfläche, hielt sich mit beiden Händen an den Armlehnen fest und ließ sich ächzend hinab. Ein Hustenanfall schüttelte ihn.
    Seine Lunge war völlig ruiniert. Allzu lang hatte er nicht mehr zu leben. Ob es noch ein paar Wochen oder ein paar Jahre waren, könnten sie ihm vielleicht im Krankenhaus sagen, doch da brachten Benito Sgreccia keine zehn Pferdehin. Er ging nicht einmal mehr zum Arzt in Pergola, seit der ihm nicht bestätigen wollte, daß sein Lungenschaden auf die Arbeit in der Schwefelmine zurückzuführen sei. Schließlich habe er nur acht Jahre unter Tage gearbeitet, und das liege schon drei Jahrzehnte zurück.
    1959 war Benito Sgreccia zum letztenmal eingefahren, auf Ebene 20 Nord in 630 Meter Tiefe, er erinnerte sich genau. Wahrscheinlich sollte er den Direktoren von Montecatini dankbar sein, daß sie die Mine gegen den erbitterten Widerstand der ganzen Gegend geschlossen hatten. Sonst hätte er dort weiter Schwefelstaub in seine Lunge gefüllt und würde jetzt nicht einmal mehr röcheln. Benito Sgreccia hätte gern gewußt, was der Arzt dann auf seinen Totenschein geschrieben hätte.
    Ein Windstoß ließ halb abgelöstes Papier rascheln. Ein paar Meter links stand die kommunale Anschlagtafel mit den Todesanzeigen, auf die Benito Sgreccia aufzupassen hatte. Die Dächer vor ihm versperrten den Blick auf die schwarzen Hügelketten, deren Kuppen mit den Lichtinseln von San Pietro, Palazzo, Piticchio, Cabernardi und den anderen Dörfern bis hin nach Arcevia überzuckert waren, doch darüber öffnete sich ein majestätischer, wolkenloser Nachthimmel.
    Das Sommerdreieck strahlte hell und stürzte, wenn man sich darauf konzentrierte, blitzend und größer werdend aus dem Himmel heraus. Es erinnerte ein wenig an die Lichter eines Zuges, der im Tunnel auf einen zurast. Dann änderte sich das Bild. Andere Sterne sprangen hervor, fügten sich zu Bildern, dem Wassermann, der Hydra, der Schlange,

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