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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Gefängnishof, hatte aber auch einen quadratischen Grundriß. Geradeaus führte ein von Buchsbaumhecken gesäumter Kiesweg zu einer kleinen Kapelle. Doch Vannoni wandte sich unwillkürlich nach rechts, auf die Doppelgrabkammern zu.
    Eine davon hatte Vater angemietet, als Mutter gestorben war. Er war sicher gewesen, daß er sie nicht lange überleben würde. Es hatte dann doch noch zehn Jahre gedauert. Vannoni blieb stehen. Wo Maria lag, wußte er nicht. Zur Beerdigung hatten sie ihn nicht aus der Untersuchungshaft gelassen. Später hatte er nie nach ihrem Grab gefragt.
    In dem verdorrten Rasen vor der Hecke steckten hier und da ein paar schiefe Grabsteine und rostige Kreuze. Alle waren deutlich älter als fünfzehn Jahre. Vannoni folgte dem äußeren Umgang und ließ den Blick über die Namen an der Wand streichen. In drei Reihen übereinander verschlossen Marmorplatten die Grabkammern. Gut ein Drittel war nicht beschriftet. Mehr als genug Platz für alle, die noch in Montesecco sterben würden.
    Vannonis Eltern lagen in der Mittelreihe. Er las die Namen, die Daten, die Trauerinschrift. Er betrachtete die beiden Blumensträuße auf dem Sims vor der Doppelplatte. Es waren zwei gleiche Sträuße aus weißen und gelben Blumen. Vannoni kannte sie, aber er hatte vergessen, wie sie hießen. Sie welkten bereits, standen wohl schon ein paar Tage. Wahrscheinlich hatte Elena sie aufgestellt, kurz bevor er zurückgekehrt war. Für den Fall, daß er gleich zum Friedhof gehen würde.
    Vannoni wandte sich um und suchte mit den Augen die Wände ab. Gelb und Weiß. Ein wenig verwelkt. Ja, dahinten, schräg gegenüber, ebenfalls in der mittleren Reihe. Er ging quer über den Rasen. Noch bevor er die Inschrift lesen konnte, erkannte er, daß es wirklich der gleiche Strauß war. Natürlich hatte Elena auch an Marias Grab gedacht.
    Auf der Platte stand in goldfarbener Schrift eingraviert: Maria Bertini, in Vannoni. 23. 6.1953–16. 3.1978. Sonst nichts. Kein Hinweis auf den Mord. Wahrscheinlich sollte Vannoni dafür dankbar sein.
    Er versuchte an Maria zu denken. Wie sie früher gewesen war. Er versuchte sich an Situationen zu erinnern, in denen sie sich eins gefühlt hatten, in denen er sie zum Lachen gebracht hatte, doch er konnte machen, was er wollte, er sah nur diesen letzten fremden Blick, den er mit sechs Kugeln hatte auslöschen wollen und der sich statt dessen für immer in sein Hirn gebrannt hatte.
    Es tut mir leid, Maria, es geht nicht, dachte er. Er legte eine seiner hölzernen Eidechsen auf den Sims neben der Blumenvase. Dann drehte er sich um und ging. Als er den Riegel des Friedhofstors zuschob, dachte er, daß er jetzt wenigstens dagewesen war.
    Auf dem Rückweg ins Dorf fiel ihm ein, daß er nicht darauf geachtet hatte, ob eine der Grabkammern neben Maria noch frei war. Es war ein unsinniger Gedanke. Was ging es ihn an, wo er lag, wenn er tot war? Das sollte Catia regeln, wie sie mochte. Er würde sich auf jeden Fall kein Grab zu Lebzeiten anmieten. Von ihm aus konnten sie seine Leiche auf den Müll werfen.
    Vannoni ging schneller, keuchte den Berg hoch. Er hielt sich ganz am Straßenrand, im Schatten der überhängenden Äste. Er bog nach rechts ab und lief den Weg hinauf. Erst unter dem Torbogen hielt er an. Er wischte sich den Schweiß ab. Als sein Puls wieder normal schlug, steckte er sich eine Zigarette an. Er rauchte langsam. Er trat die MSaus. Dann schlenderte er die zwanzig Meter bis zu Sgreccias Haus.
    Im Wohnzimmer lief der Fernseher. Es roch nach köchelndem Tomatensugo. Als Vannoni rief, kam Elena aus der Küche. Weder Catia noch Angelo waren zu Hause.
    »Ich war am Friedhof«, sagte Vannoni. »Danke für die Blumen!«
    »Man müßte wahrscheinlich schon wieder neue hinstellen«, sagte Elena.
    »Ja«, sagte Vannoni. Er mußte vorsichtig sein.
    »Wie geht es Catia? Ich meine, gesundheitlich?« fragte er.
    »Gut.«
    Vannoni nickte. Elena erzählte irgend etwas über irgendeinen Frauenarzt in Pergola, von dem Vannoni nie gehört hatte. Er sah den bunten Bildern auf Canale 5 zu.
    »Wann ist es denn eigentlich soweit?« fragte er.
    »Im November«, sagte Elena.
    Vannoni überlegte. »Also wird das Kleine Skorpion oder Schütze.«
    »Skorpion, wenn alles normal läuft. Der Termin ...« Elena brach ab. »Seit wann interessierst du dich für Sternzeichen?«
    Alle interessierten sich für Sternzeichen. Wieso sollte Vannoni sich nicht dafür interessieren? Über den Fernsehschirm flimmerte ein Werbespot für Joghurt.

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