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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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anfassen, und sei sie auch hundertmal tot. Sie vergrub ihr Kinn zwischen Gigolos spitzen Ohren.
    »Da, schau mal!« Sabrina hatte die Schlange umgedreht. Auf der helleren Bauchseite zog sich ein handspannenlanger Schnitt vom Kopf abwärts. Sabrinas Finger ließen die Wunde aufklaffen. Es sah eklig aus.
    »Glaubst du, es ist die Viper, die Papa ...?« fragte Sonia.
    »Die da?« Sabrina lachte schrill. »Nein.«
    Sonia tippte jetzt doch mit dem Zeigefinger gegen die Schuppen. Sie waren glatt und kühl.
    »Niemals ist das dieselbe Viper!« sagte Sabrina.
    »Warum nicht?«
    »Darum.«
    Sonia strich über Gigolos zerzaustes Fell. Der Hund hatte sich beruhigt. Er ließ die Zunge aus dem Maul hängen und hechelte.
    »Weil die Schlange, die Papa gebissen hat, sich nicht so einfach fangen und den Hals aufschlitzen läßt«, sagte Sabrina.
    »Wir müssen sie begraben«, sagte Sonia leise.
    »Spinnst du?«
    »Willst du sie einfach liegen lassen, bis sie zu stinken anfängt?«
    Sabrina setzte sich auf den staubigen Boden. Sie bog den Schlangenkörper, bis Kopf und Schwanzspitze aneinanderstießen. Die Viper bildete jetzt einen unregelmäßigen Kreis.
    »Wie eine Kette«, sagte Sonia.
    »Genau«, sagte Sabrina. Sie nahm die Viper mit beiden Händen auf und schlang sie sich um den Hals. Kopf und Schwanz standen zur Seite ab. Es war keine schöne Kette.
    »Ich nehme sie mit. Als Andenken«, sagte Sabrina. Sie stand auf.
    Auf der rechten Seite war der Torbogen in die Außenmauer des Palazzo eingelassen. Sie war ganz aus schweren Bruchsteinen gebaut und ging ein wenig schräg nach oben, so wie es früher bei den Burgen üblich war. Das unterste Fenster befand sich mindestens fünf Meter über dem Weg. Da konnte keiner heimlich hineinklettern.
    Von der Straße unten näherte sich Motorengeräusch. Ein weißes Auto bog in den Weg ein.
    »Es ist schon Nachmittag. Vielleicht sollten wir erst morgen ...« Sonia blickte zu ihrer Schwester hoch. Sabrina hatte ihre Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Das weiße Kleid war weit ausgeschnitten, so daß die Schlangenkette auf ihrer nackten Haut zu liegen kam. Sabrinas linke Hand kraulte sanft den Kopf der Viper.
    Das Auto stoppte vor dem Tor. Am Steuer saß Ivan Garzone. Sonia hörte, wie er die Handbremse anzog. Er ließ den Motor laufen und stieg aus.
    »Soll ich euch zwei Hübschen mit hinauf ...?« Ivanbrach mitten im Satz ab. Seine Hand krallte sich in die Autotür.
    »Sabrina, wirf das weg!« zischte er. »Pack so fest zu, wie du kannst, und wirf es weg!« flüsterte er.
    »Sie ist tot«, sagte Sabrina. Sie wich einen Schritt zurück.
    »Wirf es sofort weg!« brüllte Ivan. Sonia zuckte vor Schreck zusammen.
    Mit beiden Händen hob Sabrina die Kette über den Kopf und ließ dann die Schlange vor sich zu Boden fallen.
    »Und jetzt geht zurück!« schrie Ivan. »Weiter! Noch weiter!«
    Die Schlange lag in der Mitte des Tors. Sie rührte sich nicht. Ivan hielt dennoch Abstand. Er drückte sich dicht an der Mauer entlang und kam auf die Mädchen zu.
    »Sie war doch schon tot«, sagte Sabrina trotzig.
    »Sie hat da gehangen.« Sonia zeigte auf die Kante des Torbogens. Sie schniefte. Sie wollte jetzt nicht weinen, aber die Tränen liefen einfach heraus.
    »Jemand hat sie aufgeschlitzt«, sagte Sabrina.
    »Ist ja gut«, sagte Ivan. Er zog Sonia an sich heran und legte den anderen Arm um Sabrina. »Es ist nichts passiert. Aber ihr dürft nie mehr eine Viper anfassen. Niemals. Nicht einmal in ihre Nähe dürft ihr gehen. Versprecht ihr das?«
    Sonia wischte sich die Augen. Sie nickte.
    »Und jetzt kommt mit!« Ivan ließ sein Auto mit laufendem Motor stehen, packte die beiden Mädchen an der Hand und führte sie bis zur Piazza. Gigolo lief hinterher.
    »Um Himmels willen«, sagte Antonietta, als Ivan erzählte, was er gesehen hatte.
    »Es hört nicht auf, Antonietta«, sagte Ivan am Ende. »Es ist wie verhext.«
    Die Friedhofsmauer war aus dem gleichen nackten Beton wie die des Gefängnisses in Falconara. Nur weniger hoch. Davor standen sechs Zypressen Wache. Fünf davon ragtenweit über die Mauer empor, nur die zweite von links war offensichtlich erst vor kurzem neu gepflanzt worden. Vielleicht hatte der Blitz in den alten Baum eingeschlagen. Vannoni würde bei Gelegenheit Lidia Marcantoni fragen.
    Ins Gitterwerk des schmiedeeisernen Tores waren drei Kreuze eingearbeitet. Vannoni schob den Riegel zurück. Das Tor quietschte in den Angeln. Der Friedhof war etwa doppelt so groß wie der

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