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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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beschweren, daß ihm jemand eine so gottlose Tat unterschieben wolle.«
    »Das hätte doch jeder so gemacht«, sagte Costanza.
    »Außer er hätte tatsächlich etwas zu verbergen«, sagte Franco.
    »Doch Paolo hat die Dose ja in Sgreccias Abfalleimer gefunden«, sagte Costanza.
    »Was gar kein gutes Licht auf Angelo warf«, sagte Lidia.
    »Und immer noch nicht erklärt, wie sie dorthin gekommen ist«, sagte Costanza.
    »Könnte es sein, daß sie Paolo selbst aus der Tasche gerutscht und zufällig in den Abfalleimer gefallen ist?« sinnierte Franco.
    »Unsinn!« sagte Paolo mit fester Stimme. »Ich habe keine Ahnung, wer die Dose dort hineingeworfen hat. Ich jedenfalls nicht. Ich habe sie nie vorher gesehen. Und wer etwas anderes behauptet, der lügt.«
    »Genauso wie der, der behauptet, daß du vor Vipern panische Angst hast?« fragte Lidia.
    »Das ist alles Quatsch!« Paolo winkte ab, doch man sah, daß er mit sich kämpfte. Es war so einfach, den Vorwürfen die Spitze zu nehmen. Er mußte nur ein paar Schritte tun, die tote Schlange am Schwanz packen und sie zurück auf die Empore schleudern. Seinen Anklägern vor die Füße. Es wäre in wenigen Sekunden geschehen, und dann hätte er Ruhe, könnte vor den Marcantonis ausspucken und abschätzig fragen: »Noch etwas? Soll ich die Viper etwa auffressen?« Man wunderte sich, warum er das nicht einfach tat.
    Paolo machte einen Schritt. Und noch einen. Seine Schuhsohlen quietschten auf dem Steinboden. Der Schlangenkadaver sah mitleiderregend aus. Erbärmlich. Eine Schmeißfliege umsummte die aufgeplatzten Stellen der Schuppenhaut. Der spitz zulaufende Kopf lag schief und ließ das Maul der Viper deutlich erkennen. Es war geschlossen, doch zum Rumpf hin war der Strich zwischen Ober- und Unterkiefer unnatürlich nach oben verzogen. Es sah aus, als ob das tote Tier verzerrt grinse.
    Zwei Schritte vor dem Kadaver blieb Paolo stehen. Ein Schaudern lief durch seinen mächtigen Körper. Wie hypnotisiert starrte Paolo auf den Kopf der Viper.
    »Los!« befahl Franco.
    »Tu es einfach!« sagte Lidia.
    Paolo schloß die Augen. Seine Pranken ballten sich zu Fäusten. Man sah, daß es in ihm tobte. Mit aller Kraft versuchte er sich zu einem einzigen schnellen, beherzten Griff zu zwingen, doch der Abscheu vor der Viper war stärker. Sein Körper gehorchte ihm nicht, weigerte sich schlichtweg, auch nur einen Muskel in Bewegung zu setzen. Paolo konnte es nicht tun. Nie würde er das schaffen.
    »Oder gib es zu«, sagte Costanza leise.
    »Gib einfach zu, daß ihr beide, du und die Viper da, Giorgio getötet habt«, sagte Franco.
    »Es wird dein Gewissen erleichtern«, sagte Lidia.
    Paolo öffnete die Augen. Er stand da wie festgewurzelt. Er sagte: »Es gibt nichts zuzugeben. Ich habe keine Ahnung, wovon ihr redet. Mein Gewissen ist rein.«
    Die drei Geschwister auf der Empore sahen sich an.
    »Es hilft nichts«, sagte Franco.
    »Wir müssen.« Costanza nickte.
    »Gott wird uns vergeben«, sagte Lidia. Sie bückten sich und stemmten zu dritt den Weidenkorb auf die Balustradenbrüstung. Costanza klappte den Deckel auf, und die beiden anderen kippten den Korb vorsichtig nach vorn. Im Innern geriet eine verschlungene Masse wogend in Bewegung. Es schien ein einziges furchterregendes Lebewesen mit Dutzenden unabhängig voneinander pumpenden Herzen zu sein, mit Hunderten von schuppigen Tentakeln, die geschmeidig, aber planlos durcheinandergriffen und sich zu verheddern drohten, eine Hydra, die hier und da und dort einen ihrer unzähligen Köpfe mit den lidlosen, senkrecht geschnittenen Augen auftauchen und wieder im vielfarbig oszillierenden Geknote versinken ließ, bis endlich einer der Tentakel abgestoßen wurde, sich als ausgewachseneVipera Berus entpuppte, die über den Korbrand rutschte und sich im Fallen verzweifelt aufbäumte, so daß man einen Moment lang glauben konnte, sie würde den Sturz in einen Steilflug zum Dachgewölbe umkehren, doch dann schlug sie im Mittelgang auf, wand sich zuckend über dem Kadaver ihrer Artgenossin, als wolle sie ihn in einem obszönen nekrophilen Akt wieder zum Leben erwecken, und Paolo Garzone stand zwei Schritte entfernt, die Augen weit aufgerissen, voll von ungläubigem Entsetzen, nur das Blut hatte schon begriffen und sich schlagartig aus seinem Gesicht zurückgezogen, tief hinein in seinen Körper, wo das Herz jetzt wie wahnsinnig pumpen mußte und dennoch überflutet wurde von dem heißen roten Strom, der woanders fehlte, nicht mehr versorgte, was

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