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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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schwarze Viper in der Hand, deren Schuppen geplatzt und deren Rumpf an mehreren Stellen übel zerquetscht war.
    Paolos schwere Schritte hallten unter der Empore. Man hörte, wie er gegen die Wandtür drückte. Einen Moment lang war es totenstill, und dann stellte Paolos Stimme dumpf fest: »Die Tür ist versperrt.«
    Costanza Marcantoni hielt die tote Viper am ausgestreckten Arm über die Brüstung in den Kirchenraum hinaus. Der dreieckige Kopf schwang sacht hin und her.
    »He, habt ihr nicht gehört?« rief Paolo von unten. Er lief zur Kirchentür. Die Klinke wurde hastig niedergedrückt und schnappend wieder losgelassen. Einmal, zweimal.
    »Das ist die Viper, deren Gift Giorgio getötet hat«, sagte Costanza, »aber nicht Giorgio hat sie so zugerichtet, sondern einer, der dabei war, als Giorgio gebissen wurde. Einer, der hätte helfen können und nicht geholfen hat. Ganz im Gegenteil. Und es ist einer, der so panischen Schrecken vor Vipern empfindet, daß er selbst eine tote Schlange steinigen muß.«
    Costanza ließ den Schlangenkadaver fallen. Er schlug hart am Ende einer Bankreihe auf, prallte ab und blieb als schwarzes S im Mittelgang der Kirche liegen.
    »Was soll das?« fragte Paolo. Noch immer stand er an der abgeschlossenen Kirchentür.
    »Heb sie auf, Paolo!« sagte Franco Marcantoni. »Keine Angst, die ist tot, die beißt keinen mehr.«
    Paolo antwortete nicht.
    »Nein? Du willst nicht?« fragte Franco. »Es ist nichts dabei, es ist nur ein totes Stück Fleisch, nichts anderes als ein Schweineschnitzel auf dem Sonntagstisch.«
    Paolo Garzone kam nun unter der Empore hervor. Er mied den Mittelgang, ging an der Außenwand entlang zum Hauptaltar nach vorn und wandte sich um. Er starrte in die Mauer von Gesichtern über der Balustradenbrüstung.
    »Man hat dich nie gesehen, wenn es darum ging, eine Viper zu erlegen, Paolo«, sagte Franco.
    »Du hast deine Angst vor ihnen zu verbergen versucht«, sagte Costanza. »Du hast immer die Sorge um andere vorgeschoben. Du hast Matteo Vannoni ins Krankenhaus gefahren und bist erst am nächsten Morgen zurückgekehrt, weil du bei dem Gedanken, eine stockdunkle Nacht in einem vipernverseuchten Dorf zu verbringen, fast gestorben wärst. Du hast Antonietta und die Kinder zur Flucht überreden wollen, weil du selbst es hier nicht mehr ausgehalten hast.«
    »Es sind Kinder«, sagte Paolo langsam, »sie hatten genug durchgemacht.«
    Costanza schüttelte den Kopf. »Nein, es ging dir nur um dich.«
    Paolo musterte den schwarzen Schlangenkadaver im Mittelgang. Dann sagte er: »Ich kann Vipern genausowenig leiden wie jeder vernünftige Mensch, aber ich gerate nicht in Panik, wenn ich eine sehe.«
    »Das ist gut«, sagte Lidia.
    »Wenn es stimmt.« Costanza lachte kurz und freudlos.
    »Dann kannst du ja hingehen und sie aufheben«, sagte Franco.
    Paolo rührte sich nicht von der Stelle.
    »Er macht sich nicht gern die Finger schmutzig«, sagte Franco.
    »Er hat schon genug Dreck am Stecken«, sagte Costanza.
    »Er fürchtet die Leichenprobe ...«, sagte Lidia.
    »Er hat Angst, daß der Schlangenkadaver zu bluten beginnt«, sagte Costanza.
    »... weil er ihn so zugerichtet hat!«
    Paolo war überrumpelt worden. Erst jetzt schien er zu begreifen, welcher Tat ihn die Marcantonis beschuldigten, und er begann aufzubegehren: »Was wollt ihr eigentlich von mir? Wer gibt euch überhaupt das Recht ...?«
    »Kindchen!« Costanza wandte sich an Catia. »Erzähle uns, was du vorhin erzählen wolltest.«
    »Sag uns, wann du die Dose weggeworfen hast!« sagte Lidia.
    »Sie hat gar nichts weggeworfen«, sagte Angelo Sgreccia, »ich habe ...«
    »Sei einfach still, Angelo, und hör zu!« sagte Franco.
    »Ich habe die Dose schon vor Tagen beseitigt«, sagte Catia. »Und zwar im Container am Ortseingang. Irgend jemand muß sie dort herausgeholt haben und ...«
    »Meine Wenigkeit«, sagte Lidia. Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Niemand ist mehr für Gottes Gaben dankbar. Man glaubt gar nicht, was die Leute heutzutage alles wegwerfen. Ich habe mir gleich gedacht, daß da irgendwann etwas Interessantes zu finden sein würde.«
    »Wie kam die Dose dann in Sgreccias Abfalleimer?« wunderte sich Franco.
    »Tja.« Lidia zuckte die Achseln. »Ich habe sie jedenfalls nicht dort hineingeworfen, sondern in Paolos Werkstatt abgestellt. Ich dachte, daß sie vielleicht ihm gehört. Und wenn nicht, dann würde er doch sicher mit der Dose in der Hand auf die Piazzetta laufen und sich lautstark

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