Die Virus-Waffe
gingen seine Geschich-
ten gut durch, wenn wenigstens einer von drei Punkten ei-
nigermaßen den Tatsachen entsprach.
»Sie sind also kein Arzt?«, wollte Hardin wissen.
Richter schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin nur Ermitt-
ler. Ich wurde beauftragt, diesem medizinischen Notfall
beziehungsweise möglichen Ausbruch einer Epidemie
nachzugehen. Ich sammle Informationen, schreibe einen
Bericht und liefere ihn ab, sobald ich meinen Fuß auf briti-
schen Boden setze.«
»Gut.« Hardin nickte. »Dann werde ich mich so einfach
und unmedizinisch wie möglich ausdrücken. Haben Sie
schon einmal etwas von einem Filovirus gehört?«
»Ich habe den Begriff gehört, das ist alles. Sie reden von
Ebola und Marburg, stimmt’s?«
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Hardin nickte. »Sehr gut. Das CDC wurde eingeschaltet,
weil der Arzt hier vor Ort, ein gewisser Dr. Gravas, den Sie vermutlich gleich kennen lernen werden, einen Fall von
Ebola hier auf der Insel vorzufinden glaubte.«
»Und? Handelt es sich um Ebola?«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
nicht. Ich konnte eine Ebola-Infektion wegen der kurzen
Inkubationszeit ausschließen, jedenfalls die beiden be-
kannten Stämme Sudan und Zaire. Selbst Ebola-Zaire, die
tödlichste Variante, braucht eine Woche bis zehn Tage,
um seine Opfer zu töten. Und worum auch immer es sich
bei diesem Kerlchen handelt, es tötet innerhalb von Stun-
den.«
»Von Stunden? Mein Gott!«, murmelte Richter.
»Allerdings war Dr. Gravas’ Annahme nahe liegend,
denn die Auswirkungen dieses unbekannten Erregers sind
oberflächlich betrachtet Ebola sehr ähnlich«, fuhr Hardin
fort. »Wir haben bis jetzt zwei Opfer gefunden, die beide
praktisch die gleichen Symptome zeigen, Blutstürze aus al-
len Körperöffnungen, vermutlich begleitet von schweren
Krämpfen. Allerdings ist das nur eine Vermutung, die auf
einer flüchtigen Untersuchung der zweiten Leiche basiert.
Ich nehme an, wir werden bei der Autopsie feststellen, dass
die inneren Organe einfach nur ihre Funktion eingestellt
haben, weil sie quasi in Blut ertränkt wurden. Die Todes-
ursache könnte Blutverlust gewesen sein, aber das kann ich
jetzt noch nicht bestätigen.
Ich bin aber noch aus einem anderen Grund überzeugt,
dass wir es nicht mit Ebola zu tun haben. Das erste Opfer
konnte noch Minuten vor seinem Tod um Hilfe rufen.
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Ebola hat aber verheerende Auswirkungen auf die Gehirn-
funktionen, wenn sich der Schädel mit Blut füllt. Im letz-
ten Stadium dieser Infektion fällt das Opfer unausweich-
lich in ein tiefes und irreversibles Koma. Kein Ebola-Opfer
ist in der Lage, auch nur einen Laut auszustoßen, sobald
diese letzte Phase eingetreten ist.«
Hardins nüchterne Art und die Bedeutung seines Be-
richts verschlugen Richter einen Moment die Sprache.
»Was ist es dann?«, fragte er, nachdem er sich wieder
gefasst hatte. »Wenn es nicht Ebola ist? Wie hoch sind die
Sterblichkeitsrate und das Ansteckungsrisiko?«
Hardin zuckte mit den Schultern. »Zum jetzigen Zeit-
punkt habe ich noch keine Ahnung. Mein Gefühl sagt mir,
dass wir es mit einem bisher unbekannten Filovirus zu tun
haben könnten, das extrem schnell agiert. Ich habe aber
bisher nur zwei Opfer gesehen, die beide tot sind, also be-
trägt die Sterblichkeitsrate hundert Prozent. Das macht
diesen Erreger zum ultimativen Spezies-Killer. Selbst bei
Ebola-Zaire beträgt die Sterblichkeitsrate nur achtzig bis
neunzig Prozent.
Die gute Nachricht ist allerdings, dass dieses Ding, was
auch immer es sein mag, nicht besonders ansteckend zu
sein scheint. Drei Menschen haben das Schlafzimmer des
ersten Opfers ohne jede Schutzkleidung betreten und sind
jetzt, zwei Tage später, immer noch am Leben und wohlauf.
Das lässt zwei Schlüsse zu: Entweder wird dieser Erreger
nicht durch die Luft übertragen, sondern über Körperflüs-
sigkeit, Blut, Samen oder Speichel, oder er überlebt außer-
halb des menschlichen Körpers nicht lange. Vielleicht geht
er auch ein, wenn er Hitze oder Licht ausgesetzt wird, oder
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zerfällt an der Luft. Wir wissen es noch nicht, aber ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass wir hier auf Kreta keine
Epidemie erleben werden. Denn dann würden sich bereits
die Leichen auf den Straßen stapeln.«
»Sie zeichnen kein sehr beruhigendes Bild, Mr. Hardin.«
Ein Lächeln zuckte über Hardins Lippen. »Ich bin nur
realistisch.« Seine Miene verfinsterte sich. »Sie sollten noch etwas erfahren«, fuhr er
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