Die Virus-Waffe
sprechen konnte. Das könnte ein ent-
scheidendes Indiz sein.«
Gravas war immer noch verwirrt, als Lavat wieder in
das Zelt trat. »Sie ist sich nicht hundertprozentig sicher«, begann er. »Aber sie glaubt, dass er ›Helft mir‹ auf Griechisch gesagt hat. Aristides’ Stimme klang jedoch ziemlich
verzerrt, also könnte sie auch irgendwelche Laute als Wor-
te interpretiert haben. Sie weiß nicht genau, ob er etwas gesagt hat, aber er gab jedenfalls Laute von sich, als hätte er Schmerzen.«
Hardin nickte. »Gut. Also war das Opfer zumindest in
der Lage, Laute auszustoßen, und das etwa zehn Minuten
vor seinem Tod. Das ist interessant. Was ist dann pas-
siert?«
»Ich bin eine Weile nach der Polizei dort eingetroffen«,
erklärte Gravas, »weil ich in Heraklion war, als ich ver-
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ständigt wurde. Der Inspektor hat mir erklärt, was vorge-
fallen war. Normalerweise betrete ich einen Tatort erst al-
lein, nehme ihn in Augenschein und bestätige den Tod des
Opfers. Ich bin Humanmediziner und Gerichtsmediziner.
Erst dann ziehe ich das Team hinzu. In diesem Fall fand
ich das Opfer genauso im Schlafzimmer vor, wie Inspektor
Lavat es beschrieben hatte. Auf den ersten Blick sah es tat-
sächlich so aus, als ob er mit einem Hackmesser oder einer
Axt abgeschlachtet worden wäre. Er schien fast sein ge-
samtes Blut verloren zu haben. Nachdem ich seinen Tod
festgestellt hatte, rief ich mein Team herein, das den Rest
des Hauses untersuchte.
Ich selbst blieb im Schlafzimmer, um die Leiche zu un-
tersuchen. Dabei konnte ich keinerlei Spuren einer körper-
lichen Verletzung feststellen. Ich hatte zumindest eine
oder mehrere Wunden in der Brust erwartet, die den Blut-
verlust erklärten, aber es war nichts zu sehen.
Normalerweise hätten wir den Leichnam ohne weitere
Untersuchung ins Leichenschauhaus bringen lassen. Aber
das Fehlen äußerer Verletzungen machte mir Sorgen, des-
halb wich ich von dieser Regel ab. Ich entfernte die Klei-
dung des Mannes und untersuchte den Leichnam sorgfäl-
tiger. Ich fand keine frischen Verletzungen, dafür jedoch
Hinweise auf schwere innere Traumata. Er schien einen
Blutsturz aus jeder Öffnung erlitten zu haben. So etwas
hatte ich noch nie zuvor gesehen.
Ich wollte die Leiche gerade wegschaffen lassen, als mir
plötzlich ein Artikel über Ebola einfiel, den ich vor ein paar Jahren gelesen hatte. Darin wurde beschrieben, dass sich
die inneren Organe der Opfer beinahe verflüssigt hätten
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und dass Blut aus allen Körperöffnungen strömte. Das
schien mir die einzige Erklärung zu sein, die irgendwie
Sinn machte. Ich schickte meine Leute aus dem Haus,
schloss die Schlafzimmertür und rief, um einen amerikani-
schen Ausdruck zu benutzen, die Kavallerie zu Hilfe.«
Ein kurzes Lächeln zuckte über Hardins Lippen. Er blick-
te auf die Notizen, die er sich gemacht hatte. »Wie ich schon sagte, Dr. Gravas, Sie haben alles genau richtig gemacht.
Was Ebola angeht: Bei Ihrer Beschreibung des Toten tau-
chen tatsächlich einige sehr beunruhigende Ähnlichkeiten
auf. Trotzdem glaube ich nicht, dass wir es hier mit Ebola zu tun haben, vor allem wegen des Zeitintervalls.«
»Wie meinen Sie das?«
»Erstens benötigt Ebola länger, um seine Opfer zu töten.
Normalerweise beträgt die Zeit zwischen dem Anfang der
Infektion und dem Eintritt des Todes mindestens vier oder
fünf Tage, manchmal sogar eine Woche oder mehr. Sie
haben mir gesagt, dass dieser Spiros Aristides am Montag-
abend noch in einer Bar in Kandíra getrunken hat. Diens-
tagmorgen war er tot. Das ist der eine Grund.
Der zweite ist das, was die Frau gehört hat. Zehn Minu-
ten vor seinem Tod hat das Opfer noch gestöhnt oder um
Hilfe gerufen. Ebola greift aber nur das Kreislaufsystem an, im Gegensatz zu vielem, was Sie vielleicht gelesen oder ge-hört haben. Das Virus verursacht unkontrollierbare Blutun-
gen im Körper, die jedes Organ befallen. Einschließlich des
Gehirns, wenn sich der Schädel mit Blut füllt. Die Opfer
scheinen äußerlich an epileptischen Anfällen oder Krämp-
fen zu leiden, aber sie fallen ausnahmslos im letzten Stadi-
um der Infektion in ein tiefes Koma, weil das Gehirn seine
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Funktionen einstellt. Falls Aristides von einem Ebola-Virus
befallen worden wäre, hätte er nicht mehr rufen können.
Ich glaube«, Hardin schaute von Gravas zu Lavat, »dass wir
es hier mit einem brandneuen Erreger zu tun haben, neben
dem Ebola sich wie eine leichte
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