Die Virus-Waffe
Erkältung ausnimmt.«
HMS Invincible, Kretisches Meer
Paul Richters Kabine lag an Steuerbord auf Deck Zwo, fast
unmittelbar unter dem Harrier-Landeplatz. Das wurde ihm
deutlich ins Gedächtnis gerufen, als kurz nach acht Uhr
morgens die Techniker der 800. Staffel Checks an einer
Harrier durchführten, bei der gerade die Triebwerke ausge-
wechselt worden waren. Da sich nur eine ein Zentimeter di-
cke Stahlplatte und so gut wie keine Schallisolierung zwi-
schen ihm und einem mit voller Leistung arbeitenden Pega-
sus-Triebwerk befand, wachte Richter schlagartig auf.
Er rasierte sich, duschte und verzichtete auf das Frühs-
tück. Statt dessen stürzte er eine Tasse Kaffee in der Offi-
ziersmesse hinunter und ging zum Einweisungsraum der
Harrier-Piloten auf Deck Zwo, um noch rechtzeitig zur
Shareholder-Besprechung zu kommen. Es war eigentlich
nicht nötig, dass er daran teilnahm, weil er eigentlich nur
Passagier war, und es waren außerdem keine weiteren
Harrier-Flüge geplant, bis das Schiff Piräus verließ, aber
Richter machte sich trotzdem die Mühe.
Kurz nach neun schlenderte er zur Brücke, setzte sich in
den Drehstuhl des Air Commanders im Flyco und starrte
aufs Mittelmeer hinaus.
228
Die Invincible hielt ihre Position fünf Meilen nördlich vor Réthymnon, und die Nordküste Kretas war vom Schiff
aus deutlich zu sehen. Sie erstreckte sich von links nach
rechts so weit das Auge blickte. Der Merlin, der vorher den
CDC-Spezialisten von Heraklion nach Kandíra geflogen
hatte, war auf Spot drei gesichert. Die Rotoren waren zu-
sammengeklappt, und das Flugdeck war mehr oder weni-
ger verlassen. Bis auf eine Hand voll Schaulustiger, die
durch Kameras und Ferngläser auf die Küste starrten.
Er saß etwa zehn Minuten dort, als ihn jemand von hin-
ten ansprach. »Einen Penny für Ihre Gedanken, Spook.«
Richter erkannte Roger Blacks Stimme sofort. »Hi, Bla-
ckie. Ich schaue mich nur noch mal um. Schließlich weiß
ich nicht, wann oder ob ich je wieder an Bord dieses
Kriegskanus komme.«
»Ach, und ich dachte, Sie langweilen sich. Sie sitzen in
keinem Flugzeug, und es schießt auch niemand auf Sie.«
»Nein.« Richter grinste. »Langeweile ist ein Geistes-,
kein Ortszustand. Ich langweile mich nie, selbst wenn
niemand auf mich schießt.« Er ließ seinen Blick noch ein-
mal über den Horizont gleiten und stand auf. »Kommen
Sie«, meinte er, »ich spendiere Ihnen einen Kaffee.«
Kandíra, Südwestkreta
Die drei Männer schwiegen eine Weile, offenbar geschockt
von den möglichen Konsequenzen dessen, was sich in die-
sem ruhigen Ort zugetragen hatte.
»Okay.« Hardin stand auf. »Die Diagnose kann warten.
229
Bevor ich mich anziehe, um einen Blick auf den Toten zu
werfen, habe ich noch ein paar Fragen. Sie sagten, dass so-
wohl Spiros als auch Nico Aristides in der Nacht vor ihrem
Tod in dieser Bar gewesen wären. Haben Sie noch jeman-
den aufgespürt, der dort war? Ich meine jemanden, der sie
gesehen hat?«
Lavat nickte. »Ja, wir haben den Besitzer der Bar befragt.
Er hat die beiden Männer zusammen gesehen. Er meinte,
sie hätten sich normal verhalten und weder Anzeichen ei-
ner Krankheit gezeigt noch sich sonst auffällig benommen.
Wir haben gestern fast den ganzen Nachmittag damit ver-
bracht, diejenigen ausfindig zu machen, die an diesem
Abend in der Bar gewesen sind. Allen, die wir gefunden
haben, schien es gut zu gehen. Keiner hatte gesundheitli-
che Probleme, und niemand konnte sich an etwas Unge-
wöhnliches bei Spiros oder Nico erinnern.«
»Bis auf diesen Flugzeugfund«, warf Gravas ein.
»Flugzeug? Was für ein Flugzeug?«, hakte Hardin nach.
»Vermutlich hat das nichts damit zu tun«, sagte Lavat.
»Zwei Gäste haben mitbekommen, wie Spiros Nico von
einem abgestürzten Flugzeug erzählt hat, das er irgendwo
vor der Küste gefunden hatte. Er ist … er war Taucher.
Genauer gesagt, er war illegaler Taucher. Bedauerlicher-
weise sind diese beiden Einheimischen außerhalb der Ab-
sperrung aufgetaucht und haben mit einem Lokalreporter
geredet. Mit dem Ergebnis, dass die hiesigen Zeitungen
auf ihren Titelseiten einen Haufen Unsinn über irgend-
welche giftigen Erreger vom Meeresgrund verbreitet ha-
ben.«
Hardin quittierte das mit einem Brummen. »Noch eine
230
Frage. Sind Spiros und Nico gemeinsam oder getrennt in
der Bar aufgetaucht?«
»Sie haben sich dort getroffen«, antwortete Lavat. »Of-
fenbar ist Spiros zuerst
Weitere Kostenlose Bücher