Die Virus-Waffe
die Tischkante
genauer. Die Kratzspuren waren zwar klein, aber eindeutig
zu erkennen. Außerdem waren sie frisch, als hätte jemand
mit den Werkzeugen, die auf dem Tisch lagen, erst kürz-
lich hier gearbeitet. Hardin stand auf und schaute sich in
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dem Zimmer um. Jagte er irgendwelchen Chimären hin-
terher? Vielleicht hatte der Grieche ja Schwierigkeiten
beim Öffnen einer Olivendose gehabt und dafür die Werk-
zeuge benötigt.
Hardin schaute sich erneut um und war schon zur Tür
unterwegs, als er plötzlich wie angewurzelt stehen blieb. Er hatte aus dem Augenwinkel etwas gesehen, das nicht ins
Bild passte. Er drehte sich um und schaute hinter den
Tisch auf den staubigen Steinboden. An der Wand lag et-
was Kleines, Rotes, das ihm bei der ersten Durchsuchung
des Zimmers entgangen war.
Hardin zog den Stuhl vorsichtig vom Tisch weg und
hockte sich hin, um den Fund genauer zu untersuchen.
Zuerst konnte er nicht erkennen, worum es sich handelte.
Es sah aus wie eine Art dünner, roter Zylinder.
Hardin achtete bei jeder Bewegung darauf, dass er ange-
sichts der in diesem Haus lauernden Gefahr seinen
Schutzanzug nicht beschädigte, und stand auf, ohne das
Objekt zu berühren. Er ging in den Flur, nahm die kleine
Tasche, die er mitgebracht hatte, und zog eine Zange mit
einem langen Griff heraus. Dann kehrte er in das Zimmer
zurück und stieß das merkwürdige Objekt vorsichtig mit
der Zange an.
Es rollte zur Seite, und jetzt erkannte Hardin, was es
war. Ein längliches Stück Wachs, das von einem Flaschen-
hals oder einem ähnlichen Gegenstand entfernt worden
war.
»Merkwürdig«, murmelte er und hob es mit der Zange
vorsichtig hoch. Er stand auf, legte das Wachs auf den
Tisch und untersuchte es genauer. In dem schwachen
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Licht konnte er jedoch kaum Einzelheiten erkennen. Har-
din schaltete die Stehlampe an, die neben dem Tisch stand.
Ihr Licht überflutete die Tischplatte, und Hardin fiel im
selben Moment noch etwas auf. Diese Lampe gehörte nicht
an diese Stelle. Ihr Stecker befand sich in einer Dose neben dem Kamin, und das Kabel war straff gespannt. Dabei gab
es eine Steckdose an der Wand viel näher am Tisch, einen
knappen Meter vom Fuß der Stehlampe entfernt. Das war
irgendwie unlogisch. Hardin trat zurück und sah sich um.
Die Deckenlampe war vergleichsweise schwach. Hardin
schätzte, dass die Glühbirne höchstens sechzig Watt hatte.
Also brauchte der Bewohner vermutlich eine stärkere
Lichtquelle neben den beiden Sesseln am Kamin. Dort
konnte er Bücher oder Zeitung lesen, während er in einem
der gemütlichen Sessel saß und sich an den eher kühlen
Winterabenden die Füße am Kamin wärmte. Hardin ging
zum Kamin und schaute auf den Boden neben den beiden
Sesseln.
Er sah den schwachen Kreis, der nicht staubig war wie
der Rest des Bodens. Hardin schätzte den Durchmesser
des Kreises auf etwa dreißig Zentimeter. Er ging zu der
Stehlampe zurück und betrachtete ihren Fuß. Etwa dreißig
Zentimeter.
Er nickte zufrieden. Zwar wusste er nicht genau, was
Aristides gemacht hatte, war aber ziemlich sicher, dass der
Grieche an dem Tisch etwas geöffnet hatte. Etwas, das mit
rotem Wachs versiegelt gewesen war. Spiros oder Nico
hatten die Stehlampe geholt, damit sie besser sehen konn-
ten, und das Werkzeug benutzt, das immer noch auf dem
Tisch lag.
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Hardin beugte sich vor und untersuchte das Wachs ge-
nauer. Es sah aus, als hätte es den Hals einer kleinen Fla-
sche oder eines Flakons verschlossen. Er zog es mit der
Zange auseinander und betrachtete die Innenseite. Sie war
vollkommen glatt, also widmete er sich wieder der Außen-
seite. Darauf befand sich ein gekreuztes Muster, als wäre
das Wachs von einer Art Drahtnetz festgehalten worden.
Hardin trat von dem Tisch zurück, musterte den Boden
dahinter und bückte sich dann mit der Zange in der Hand.
Nachdem er sich aufgerichtet hatte, ließ er das verbogene
Drahtgeflecht auf den Tisch neben die Wachsrolle fallen.
Der Draht bildete eine Art Netz, und die Enden der Drähte
leuchteten blank, wo jemand sie mit einer Zange durch-
trennt hatte.
Hardin betrachtete die beiden Gegenstände einen Mo-
ment nachdenklich.
Er begab sich wieder in die Küche und untersuchte den
Inhalt des Mülleimers, warf danach einen Blick aus der
Hintertür und durchsuchte erneut jeden Schrank und jede
Kommode. Er fand weder eine Flasche noch einen Flakon,
also hatte Aristides’ Neffe Nico das Gefäß
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