Die Vision
gern, wenn man mich um meinen Sport bringt – insbesondere in diesem Fall.« Der Graf wirkte etwas gedankenverloren, als er sich an den anderen knienden Diener wandte und die Brauen leicht wölbte, so als wüßte er nicht recht, was der Bursche von ihm wollte.
»Die entremets , Mon Seigneur – für das Fest zur Begrüßung des Botschafters – ich sollte Euch deswegen fragen –« Der Diener hörte sich ängstlich an.
»Zwölf vergoldete, tanzende Knaben, und ein Schiff aus Pastetenteig auf Rädern – ich denke, ich habe mich letztes Mal klar genug ausgedrückt. Ich möchte Graf Gastons feuerspeienden Drachen übertrumpfen. Drachen – pah – geschmacklos. Typisch für ihn. Jetzt raus mit dir. Du störst.« Der Küchendiener verzog sich rückwärts unter devoten Verneigungen und murmelte: »Zwölf vergoldete Knaben. Mein Gott, woher noch zwölf Knaben nehmen? Vermutlich kann ich noch froh sein, daß er keine Jungfrauen haben will. Vielleicht Chorknaben aus der Kapelle –«
»Mon Seigneur, Eure Wünsche sind bis aufs I-Tüpfelchen befolgt worden«, warf der erste Diener ein. »Der Blutfleck kommt vom Nasenbluten. Wir haben ein halbes Dutzend Männer gebraucht, und einer hat ein gebrochenes Schlüsselbein davongetragen.« Die Züge des Grafen entspannten sich, so sehr freute er sich auf seine Kurzweil.
»Dann hat er sich also tüchtig zur Wehr gesetzt?«
»Wie ein Löwe.«
»Wunderbar. Je kräftiger das wilde Tier, desto edler der Sport – und desto befriedigender das Ende.« Der Graf entfaltete den befleckten Brief ganz ungewöhnlich anmutig für einen Mann mit seinen Pranken. Aber er war ja auch ein Kenner und tat sich viel auf sein erlesenes Feingefühl zugute. Ringe, zwei, drei an jedem Finger, hatten sich tief in das bleiche Fett der Gelenke eingegraben. Auf dem Handrücken schmälerte ein Anflug von borstigem Haarwuchs wie bei einem Eber die Vollkommenheit der glitzernden Edelsteine ein wenig. Einen Augenblick lang bewunderte er seine Hände, die den Brief hielten. Ich lasse sie mir rasieren, schoß es ihm durch den Kopf. Dann kommen die Steine besser zur Geltung. Er besaß alles, Feingefühl, Geschmack und Sinnlichkeit. Als er den Brief auf Französisch laut vorlas, streichelte er die Tinte, und das bereitete ihm einen köstlichen, orgiastisch-sinnlichen Genuß, gleichzeitig aber zogen sich seine Speicheldrüsen zusammen.
»Bezaubernd«, sagte er.
»Ich dachte mir schon, daß er Euch gefallen würde«, sagte Fray Joaquin.
»Und wie sagt ihm unser Verlies zu? Hat es schon zu einem Sinneswandel beigetragen?«
»Er brüllt durch das Gitter hoch, daß sich die Wahrheit nicht unterdrücken läßt und daß Ihr dagegen nichts ausrichten könnt, auch wenn Ihr Euch vor ihr versteckt.«
»Überheblich, überheblich wie eh und je. Eine Überheblichkeit, die seinem Stand nicht zusteht. Das kränkt mich, Fray Joaquin, habe ich Euch schon gesagt, wie lange mich das schon kränkt?«
»Ja, Mon Seigneur.«
»›Ich huldige Madames Elfenfüßchen‹ zählt zu meinen besten Werken, findet Ihr nicht auch?«
»Schön. Vollendet. Wem außer Euch könnte wohl etwas so Erlesenes einfallen?«
»Als mir zu Ohren kam, daß alle Studenten in Paris sangen ›Ich huldige Madames Trampeltritten‹, da wußte ich, daß ich einen Feind hatte.«
»Einen ohne Geschmack.«
»Einen Feind, den ich mir gefügig machen und alsdann vernichten mußte.« Sein Blick schweifte durch den Palas, wo eine Europa an seidenen Fäden sachte über einem großen Stier schaukelte. »Der Große Meister verweigert mir nichts. Ich brauchte die Bitte nur auszusprechen, und schon fiel er mir in die Hände – und das noch leichter als die Kleinen. Wie schön. Und kein Gebet, keine Reliquie, ja, nicht einmal der Name eines Heiligen schützt ihn. Wer möchte da wohl am Wirken des Großen Meisters zweifeln? Was soll ich mit ihm anfangen, Fray Joaquin?«
»Mein Hirn ist nicht so brillant wie Eures, Mon Seigneur. Schneidet ihm die Zunge heraus und verfüttert sie an die Hunde.«
»Hübsch, doch nicht hübsch genug. Zuerst möchte ich seinen Geist zerstören, den Geist, der sich über mich lustig gemacht hat – ehe ich den Rest zerstöre. Und er wird seine Zunge noch brauchen, wie sonst sollte er seine Erbärmlichkeit bekennen. Er soll mir sagen, daß meine Werke brillant und geistreich sind. Er soll verzweifelt nach neuen Lobpreisungen suchen, ehe ich ihm nach und nach den Rest gebe. Ich bin kein ungehobelter Mensch, Fray Joaquin. Nein, meine Rache
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