Die Vision
ist kultiviert, feinsinnig, sinnlich – genau wie diese Blume.« Er hielt immer noch den Brief in der Hand, während er mit der anderen aus einer Messingschale unter dem Fenster eine Rose nahm und ihren Duft einatmete.
»Eine Rose – üppig und erlesen. Gänseblümchen sind geruchlos und bäurisch, findet Ihr nicht auch?«
»Natürlich, Mon Seigneur.«
»Taugen zu kaum etwas, außer daß man ihnen eins nach dem anderen die Blütenblätter auszupft, wenn man herausfinden will, wer einen liebt.«
»Ich verstehe nicht.«
»Das kommt schon noch. Ich brauche eine Beschwörung. Wie die, welche ihn hergezogen hat. Messer Guglielmo soll den Großen Meister heute abend anrufen, und keine Ausflüchte dieses Mal.«
»Messer Guglielmo? Aber der sagt, er hat immer noch blaue Flecken von der letzten Begegnung, und die nächste könnte sein Ende bedeuten. Er sagt, Asmodeus könnte sich losreißen und zügellos über diese Welt herfallen.«
»Seine Schuld. Soll er sich bessere Helfer suchen. Wenn Arnaut nicht das Herz in die Hose gefallen wäre und er nicht das Paternoster gebetet hätte, dann hätte er ihn auch unter Kontrolle gehabt. So mußten wir einen ausnehmend guten Knecht opfern, mußten ihn aus dem magischen Kreis stoßen. Heute abend. Ihr werdet Asmodeus anrufen und eine Marguerite beschwören.«
»Eine was?«
»Diese bescheidene, kleine Blume hier, die sich im Gras verbirgt und nicht richtig schreiben kann. ›Ich lehbe für den Tack Äurer Heimkehr … ich küsse dieses lihbe Papier, da es Äuch meine Worte brinkt‹«, las er in gespieltem Falsett vor. »Ich will die Kleine haben, diese Margaret. Ich will ihr die Blütenblätter vor seinen Augen, eins nach dem anderen – ›sie liebt mich, sie liebt mich nicht‹ auszupfen. Geschieht ihm recht. Ja, geschieht ihm ganz recht. Auf diese Idee kann nur ein poetisches Gemüt wie meines kommen.« Alsdann zupfte der Sieur d'Aigremont der Rose die Blütenblätter eins nach dem anderen aus und roch an jedem, ehe er es auf den gemusterten Teppich fallen ließ. Seine Züge hatten jetzt einen Ausdruck verbindlicher Überheblichkeit angenommen, sein Lieblingsausdruck beim Beurteilen von frisch erworbenen Kunstwerken.
»Es ist nicht leicht, jemanden von jenseits des Meeres herbeizuzaubern. Es ist nicht dasselbe, wie einen Chorknaben aus der benachbarten Lehnsherrschaft zu locken.«
»Ich will sie haben.« Die schwarzen, gewölbten Brauen des Grafen zogen sich drohend zusammen, und eine gefährliche Röte stieg ihm in die Hängebacken seines derben Gesichtes.
»Aber ja doch, ja doch. Heute abend noch, genau wie Ihr wünscht.«
»Gut. Und bald. Ich warte nicht gern.« Auf einmal riß er der Blume alle restlichen Blütenblätter aus und warf den Stengel zu Boden.
»Auf bald, Margaret.« Seine vollen, sinnlichen Lippen teilten sich zu einem Lächeln, während er Blütenkopf und Stengel der Rose sorgsam mit seinem vergoldeten, spanischen Pantoffel zertrat.
»Mistress, da sind zwei verrufen aussehende Kerle an der Tür und wollen Mistress Margaret sprechen. Soll ich sie fortschicken? Wenn es nun Spitzel sind?«
»Einen Augenblick, Kat, haben sie ihre Namen genannt?« Ich blickte erwartungsvoll von meinem Stickrahmen auf. Mistress Wengrave und ich saßen im Söller, sie spann, und ihre beiden ältesten Mädchen säumten Bettlaken. Der Himmel war bedeckt, doch die kalte Luft war frisch und rein, denn der kräftige Wind, welcher die Wolken mitgebracht hatte, hatte auch den unangenehmen, feuchten Rauch der Kamine fortgeblasen. Durch die geöffneten Läden konnten wir hinten im Garten die Kinder beim Spiel kreischen hören, Cecily am lautesten von allen.
»Das ist meiner! Gib ihn mir sofort wieder, sonst spiele ich nicht mehr mit!«
»Pa, warum willst immer nur du bestimmen?« gab die Stimme eines kleinen Jungen zurück. Das war Peterchen, Mistress Wengraves dicker, kleiner Siebenjähriger.
»Weil ich die Klügste bin und alle Spielregeln kenne. Ohne Spielregeln kann man nicht spielen.«
»Kann man wohl! Aua! Sag deiner Schwester, sie soll aufhören zu treten!«
»Gib uns jetzt den Ball wieder!«
»Hol ihn dir doch!« Sie kreischten und juchzten.
»Ich hab ihn, Cecily!« Das war Walters Stimme. Und schon ging das Getobe weiter. Mistress Wengrave lächelte.
»Er ist jetzt soviel kräftiger geworden, Margaret. Was bin ich froh, daß er draußen spielen kann, anstatt den ganzen Tag am Feuer zu hocken.«
Kat trat an der Tür ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
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