Die Vision
ist.«
»Was um alles wollt Ihr damit sagen?« Ich merkte, daß mich die Angst überkam. Soviel Hoffnung, und jetzt soviel Angst.
»Es stimmt, daß der Graf Lehnsmann von König Karl ist. Habt Ihr schon von ihm gehört? Nein? Das dachte ich mir. Nicht umsonst nennt man ihn Karl den Bösen. Er gehört nicht zu den Menschen, auf die Verlaß ist. Doch der Graf ist noch schlimmer. Unter Gelehrten genießt er einen schlechten Ruf. Ein Totenbeschwörer. Ein Alchimist. Man sagt, daß seine Besucher nicht immer zurückkehren; er gehört zu den Menschen, deren Gastfreundschaft ich nicht gern in Anspruch nehmen würde, obschon er beim niederen Adel als großer Edelmann gilt.«
»Aber Gregory kann Lösegeld zahlen. Männer von hoher Geburt werden doch immer ausgelöst.«
»Nicht beim Grafen.« Ich legte die Hand aufs Herz. Jählings fror mich.
»Man hat mir eine reiche Belohnung versprochen«, mahnte der Mann mit den Katzenfellen.
»Natürlich, Ihr bekommt ein Abendessen«, sagte Mistress Wengrave.
»Ihr glaubt doch nicht etwa, daß ich den ganzen weiten Weg für ein Abendessen gemacht habe. Ich bleibe kleben wie eine Klette, bis ich meine Belohnung habe.« Robert zupfte ihn am Umhang und versuchte ihn zum Schweigen zu bringen, aber er wurde immer aufgebrachter.
»Eine anständige Tracht Prügel, das ist deine Belohnung, wenn du dich nicht zu benehmen weißt, du Bettler.« Mistress Wengrave trug die Nase jetzt hoch.
»Nein, nein – das ist ungerecht. Er hat mir gute Kunde gebracht – wunderbare Kunde. Wenn Ihr mich begleiten wollt, so sollt Ihr Eure Belohnung bekommen. Aber Ihr müßt ein wenig warten. Das Geld ist in meinem Haus, ich muß es erst holen.«
»Was soll das heißen, Margaret? Diese de Vilers haben dir nicht einmal einen Hosenknopf gelassen, und obendrein können sie jeden Augenblick eintreffen und dich dort überraschen. Du weißt, was Master Wengrave gesagt hat. Es ist jetzt ihr Haus, und wenn sie dich erwischen, haben sie das Gesetz auf ihrer Seite. Bei den Mädchen ist das etwas anderes. Da hat er Rechte. Aber du bist eine Wittib.«
»Keine Wittib mehr; es gehört Gregory, und somit habe auch ich Rechte.«
»Keine, die einem Schwert Einhalt gebieten würden, Mistress Margaret«, mahnte Robert. »Aber ich muß schon sagen, diese Verwandten von Gregory hören sich geldgierig an. Kein Wunder, daß er nichts mit ihnen zu tun haben wollte.«
»Sie sind schuld, daß er jetzt in der Klemme steckt.«
»Nette Familie.«
»Finde ich auch – und ich habe das länger überdenken können als Ihr.«
»Schluß, Schluß damit. Ich habe nicht den ganzen weiten Weg gemacht, um mir Familiengeschichten anzuhören. Die Belohnung, Ihr habt es versprochen.«
»Also gut. Da Ihr nicht warten wollt –« Ich hatte gespürt, daß Master Kendalls kalter Schatten durch den Raum wehte. Wie stets stellte er sich ein, wenn eine Unterhaltung interessant zu werden versprach. Wurde es bei mir langweilig, trieb er sich in der Stadt herum, wo er bei alten Freunden herumschnüffelte, frühere Konkurrenten ausspionierte, seine Nase in Hurenhäuser steckte, seine Seelenmessen anhörte – und wehe, der Priester war nachlässig –, und sich im großen und ganzen weitaus mehr in alles einmischte als zu seinen Lebzeiten. Mangel an Beschäftigung hatte ihm schon immer schwer zugesetzt.
»Master Kendall?«
»Hierher, Margaret, auf die Bank am Feuer.« Und ich sah die geliebte Gestalt zu meinem Trost wie Nebel wölken.
»Ihr habt recht gehabt.« Ich spürte, wie die anderen mich anstarrten. Kat erschauerte und bekreuzigte sich, und Mistress Wengrave rang aufgeregt die Hände.
»Natürlich, Margaret. Ich würde dich doch nicht anlügen. Und jetzt willst du vermutlich das Geld haben.«
»Ja, ich brauche es. Reisegeld, Lösegeld. Und die ausstehenden Löhne für das Hausgesinde. Und jetzt noch dieser Kerl.«
»Wieso redet sie in die Luft?« Der Scholar wickelte sich enger in seinen Katzenfellumhang, denn ihn fröstelte.
»Psst. Haltet den Mund. Margaret ist nicht wie andere Menschen. Ihr hättet sie in Ruhe lassen und Eurer Wege ziehen sollen.«
»Nein, nein«, kam ich dazwischen. »Master Kendall ist nie knauserig gewesen. Dieser Mann soll seine Belohnung bekommen.«
Natürlich erstaunten sich alle. Wir nahmen zwei Knechte mit, daß sie Wache standen, und verließen Mistress Wengraves Haus durch die Küchentür. Es war zwar noch nicht spät am Nachmittag, doch die schweren Wolken eines aufziehenden Gewitters machten die Luft
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