Die Vision
wieder riechen.
»Blumen – hübsche Blümchen wie Margueriten«, sagte er und zog die Nadeln aus meiner Haube. Ich erschauerte schon wieder, als er mein Haar streichelte.
»Trinkt von dem Wein«, sagte er und bot mir den Kelch mit der anderen Hand an. »Dann friert Euch nicht mehr.«
»Schreibt – schreibt Ihr viel Gedichte? Ich – mag Gedichte – und einen Mann, der sich – schön ausdrücken kann. Manche sagen, daß – daß es nichts Anziehenderes gibt.«
»Gedichte? Hat Euch denn niemand gesagt, daß ich der größte trouvère in der Geschichte der trouvères bin, der größte trouvère, den es je in sechs Königreichen gegeben hat? Die, welche man früher für groß hielt, Graf Raymond von Toulouse, Guilhem von Poitou und das übrige Gesindel – ich soll sie alle übertreffen, so sagt man, wie der Habicht sich hoch über den Spatzen schwingt. Viele nennen mich den ›König der Troubadoure‹. Habt Ihr noch niemals ›Ich huldige Madames Elfenfüßchen‹ gehört?«
»N-nein. Ich bin eine Hinterwäldlerin.«
»In der Tat, das will ich meinen.« Nach und nach ließ er sich ablenken. Wenn ich ihn doch nur tief genug in sein Poesiegeschwafel verstricken könnte.
»Ihr habt gewißlich einen sehr zierlichen Fuß.« Er betrachtete meinen Hals. Mich überlief eine Gänsehaut.
»Also, so zierlich nun auch wieder nicht.«
»Stellt Euch vor, ich hätte die Ode nur auf Euren zierlichen, kleinen Fuß geschrieben. So wäre es, wenn Ihr ihn mir gezeigt hättet.«
»Ich würde – sie wirklich gern hören.«
»Ach, mein hübsches Blümchen, nur wenn Ihr versprecht, mir zur Belohnung Euer köstliches, weißes Füßchen zu zeigen.«
Mich ekelte immer mehr. »Zeit, spiele auf Zeit«, sang das liebliche Stimmchen in mir.
»Vielleicht werfe ich ihm zuerst den Fuß hinunter«, hörte ich ihn bei sich murmeln. »Wie passend.«
»Eure schöne Ode«, hakte ich nach.
»Oh? Oh, ja.« Er räusperte sich und fing an. Mittendrin unterbrach ich ihn, um ihm Beifall zu spenden.
»Das mit den perlengleichen Zehennägeln, das ist sehr hübsch«, sagte ich. Alberner, als ich mir je hätte träumen lassen, dachte ich bei mir.
»Aber, aber, wir wollen doch nicht unterbrechen, nicht wahr?« drohte er mir mit dem Finger. Jetzt ist er gnädiger gestimmt, dachte ich. Noch ein wenig, und ich kann ihm vielleicht seinen schmutzigen, kleinen Plan ausreden und Gregory zurückbekommen. »Einen Künstler darf man nie unterbrechen –« fuhr er in dem ungemein rollenden Tonfall fort, den er sich anscheinend fürs Gedichtrezitieren vorbehielt. Doch er war mit dem albernen Ding nur zu schnell am Ende.
»Und jetzt, Euer Versprechen.«
»Es ist so eng hier. Ich komme so schwer an – ob Ihr wohl ein wenig rücken könntet –«
»Auf dem Bett wird es Euch, dessen seid versichert, leichter fallen.«
O weh, das hatte ich nun von der Poesie. Vom Regen in die Traufe.
»Das Bett? Ich bin noch nicht fertig mit Essen.« Und ich stopfte mir Brot in den Mund. Es war staubtrocken.
»Trinkt ein wenig Wein zum Hinunterspülen. Köstlichen Würzwein.«
Schon wieder der Wein! Er packte mich beim Hinterkopf, daß es schmerzte, und versuchte, mir den Wein einzuflößen. Wie eigenartig der roch. Das ist mit Sicherheit kein Gewürz, dachte ich. Das kenne ich doch irgendwie. Was ist das?
»Trinkt«, sagte er und drückte mir den Becher mit aller Kraft an die zusammengebissenen Zähne.
Man hämmerte an die verschlossene Tür.
»Weg da!« brüllte er. »Ich bin beschäftigt und möchte nicht gestört werden.«
»Herr, Herr. Fray Joaquin schickt Euch eine Botschaft. ›Er hat es geschafft‹, läßt er Euch ausrichten. Ihr hattet ihm aufgetragen, Euch Bescheid zu geben, was auch immer Ihr gerade machtet.«
»Geschafft! Bei Fortuna!« Er ließ mich los, sprang auf und zur Tür und rief es durch das Holz. Er hatte kaum den Kopf abgewandt, da schüttete ich den Wein in die Ecke und stellte den Pokal wieder auf den Tisch.
»Schafft ihn her – aber verdeckt sein Gesicht mit der Kapuze. Niemand darf ihn erkennen, und vor allem – kein Sterbenswörtchen von ihm hören.« Er drehte sich zu mir um und rieb sich die Hände. »Ein doppelter Sieg, und alles in einer Nacht. Der Schwarze Meister hält Wort.«
Der Schwarze Meister? Kein Wunder, daß das Brennende Kreuz so summte. Ich hatte es in ein Tuch gewickelt, damit es nicht so laut zu hören war. Während ich zusah, wie er mit großen Schritten zum Tisch zurückging, schien er sich zusammenzuziehen und zu
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