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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Brustharnisch getragen hatte, sah Hugo nicht besser aus als der Sohn eines Flickschusters, der unter die Söldner gegangen ist. Dünner war er auch geworden, und so paßte ihm der Waffenrock, als stammte er von einem Leichnam. Wir übrigen sahen womöglich noch schlimmer aus.
    »Hugo, reize sie nicht«, zischte Gregory mit zusammengebissenen Zähnen, doch Hugo ließ alle Vorsicht fahren.
    »Mein Rang, du niedrig geborener, französischer Psalmendudler! Du beleidigst einen Edelmann, den Erben von Brokesford!« Er war im Gesicht rot angelaufen, und seine Hand fuhr zu der Stelle, wo sein Schwertknauf hätte sein müssen. Gregory und Malachi ergriffen ihn bei den Armen, wollten ihn zurückhalten, doch er blies sich auf wie ein zorniger Ganter, und ihre Bitten sich zu beruhigen fruchteten nichts, im Gegenteil.
    Als der Aufruhr immer lauter wurde, erschienen weitere Brüder auf dem Schauplatz und berieten sich. Auf einmal machte einer von ihnen, der nach mehr aussah, eine Handbewegung, und die beiden Laienbrüder lösten sich aus der Gruppe und führten uns in unser Quartier. Das Gebäude wurde durch eine Innenmauer in zwei große, kahl wirkende Räume unterteilt, jeder mit eigenem Eingang. Offensichtlich war der eine für Frauen, der andere für Männer. Als Hilde und ich im niedrigen, steinernen Eingang standen und uns die schlichten, weiß getünchten Wände des Raumes ansahen, in dem es lediglich eine Bank, eine Reihe von Strohsäcken und eine blinde, alte Frau gab, die in der Ecke vor sich hinsummte und ein Bündel in den Armen wiegte, da konnten wir Hugo draußen vor dem Haus immer noch brüllen hören.
    »Ihr dickköpfigen Trottel, ihr habt ja keine Ahnung, wie man einen Mann von edlem Geblüt behandelt! Geschähe euch nur recht, wenn man Euch das ganze Ding über dem Kopf anzündete! Mir steht eine besondere Unterkunft zu, hört ihr, nicht diese Bruchbude!«
    »Eine besondere Unterkunft?« hörte ich sie antworten, als das Gebrüll nachließ. »Ja, Mylord, da mögt Ihr recht haben. Wir haben einen Fehler gemacht. Ihr sollt eine besondere Unterkunft bekommen. Laßt Euch dorthin führen, wohledle Gäste.«
    Ich war jedoch so müde, daß mir selbst ein Strohsack in einem kahlen Raum wunderbar vorkam. Erst als wir nach Stunden aufwachten, stellten wir fest, daß man die Tür von außen verriegelt hatte.

    »Bruder, es tut mir leid«, sagte Gregory. Die Ketten rasselten, als er seine langen Beine auf dem Steinfußboden im Gefängnis des Abtes ausstreckte. Ein Lichtstrahl hatte sich durch den schmalen Schlitz über ihnen gestohlen und warf einen hellen Streifen auf die schwere, eisenbeschlagene Tür. Gregory war sehr niedergeschlagen zumute. Er hatte sich das Latein auf der anderen Seite der Tür angehört, und das verhieß nichts Gutes. Soweit er die Unterhaltung mitbekommen hatte, ging es darum, ob der Abt ihnen die Haut bei lebendigem Leibe abziehen oder sie schlicht köpfen sollte, um sie dann als Warnung für andere Söldner an der Mauer aufzuhängen. Das Ende. Wenn das nicht niederschmetternd war. Hugo focht das jedoch nicht weiter an. Warum sollte er ihm die letzten Minuten auf Erden mit dieser bösen Nachricht vergällen? Soviel zumindest schuldete er ihm.
    »Unfug, Unfug«, sagte Hugo fröhlich. »Alles ein Fehler. Das klärt sich bald auf. Laß mich nur mit dem Abt reden, dann kommt Licht in die Sache. Mehr braucht es nicht. Wahrscheinlich habe ich sie erbost, als ich ihre ziemlich schäbige Gastfreundschaft angeprangert habe. Diese fremdländischen Mönche kennt man doch. Empfindlich, alle, wie sie da sind. Das kommt im Nu in Ordnung, ich muß mich nur entschuldigen. Uns steht eine bessere Unterkunft zu, und die bekommen wir, sobald er davon hört. Schließlich reisen wir mit einem päpstlichen Geleitbrief. Er schuldet uns Rücksichtnahme.«
    »Hugo, der päpstliche Geleitbrief schwimmt flußabwärts auf dem Kopf des Gesandten. Wir können nichts beweisen; wir können nicht einmal beweisen, daß wir keine Söldner sind. Ohne das Dokument sind wir verloren.«
    »Tod und Teufel, Gilbert. Du bist immer noch krank, das ist es. Ich habe bessere Mittel, mir die Zeit zu vertreiben. Ich finde, ich sollte ein Gefängnislied dichten. Das ist der letzte Schrei; damit kann ich berühmt werden. Also – ›du edle Seele bist zu hehr für Stein und Ketten‹ – das bin natürlich ich. Und dann sollten Vögel darin vorkommen, die frei herumflattern. Das ist Symbolik. Habe ich dir eigentlich erzählt, daß ich drei

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